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Hans Belting – Das unsichtbare Meisterwerk


Der Begriff des Meisterwerks taucht in der Rhetorik der Avantgarde des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem als Ziel spöttischer Ablehnung auf. Mit ihm wurde versucht, eine Einstellung zur Kunst zu denunzieren, die sich in der Verklärung ungerechter sozialer Verhältnisse durch die Figur des Genies und der mit ihm verbundenen Abgehobenheit zu erschöpfen schien. Inzwischen ist dieser Spott zu einem verbreiteten Klischee geworden. Auch die Medien bedienen sich seiner ohne Umstände, und geben damit der Identität einer Gesellschaft Ausdruck, die beansprucht, das neunzehnte Jahrhundert überwunden zu haben.
Zumindest für die Form, die die Kunst unter den historischen Bedingungen der westlichen Moderne angenommen hat, bestreitet Hans Belting diese Auffassung ins seiner neuen Studie. Ihre symbolische Rolle, die vor allem mit der Übernahme vormals religiöser Funktionen zu ihrer heutigen Bedeutung kam, war seit den Tagen der Französischen Revolution durch eine Art Überlastung gekennzeichnet. Das trieb sie nicht nur zur Konformität mit den rigorosen Motiven des Fortschrittsglaubens, sondern provozierte auch das Phantom des absoluten Meisterwerks. Als eine Art von Kompensation der prekären Lage, in die die Kunst geraten war, zeichnete es sich nicht nur durch seinen zentralen Stellenwert, sondern auch durch seine Unerreichbarkeit aus. Am nächsten schienen ihm konkrete Werke zu kommen, wenn sie den Charakter des Fragmentarischen oder des Unvollendeten aufwiesen. Nur als Mythos konnte die dem Alltag enthobene Idee gleichzeitig aufrechterhalten werden Ursache von Produktivität bleiben.
Belting, der bereits das Ende der Kunstgeschichte nicht nur prognostiziert, sondern sogar für ausgemacht gehalten hat, unternimmt damit erneut eine historische Lektüre der Leitbilder künstlerischer Produktion und Interpretation. Sein Anspruch ist jetzt, die Vorurteile moderner Geschichtsschreibung zu überlisten. Während ihm jene vor allem darum bemüht scheint, ihre eigene Epoche zu Ungunsten jener des neunzehnten Jahrhunderts als völlig neuartig darzustellen, versucht er gerade die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.
Als Dreh- und Angelpunkt dient ihm dabei die Balzac’sche Erzählung vom unbekannten Meisterwerk. Deren Verfilmung durch Jaques Rivette (Die schöne Querulantin, 1991) konnte allerdings die Aktualität der darin behandelten Thematik in Erinnerung rufen: Das Kunstwerk konstituiert sich erst über einen deutlichen Bruch mit den übrigen Lebenszusammenhängen, und läßt sich nicht ohne schwerwiegende Konflikte in die alltägliche Umwelt integrieren.
Beltings explizites Vorhaben einer Archäologie der Moderne soll den Zweifel an einem überzeugenden Werkbegriff zu einer Pathologie der modernen Gesellschaft treiben. Repräsentativ dafür steht die Befreiung der Kunst vom Körper, die als Bewegung der Abstraktion nicht erst mit der Ungegenständlichkeit beginnt, sondern mit der Dominanz einer Idee von Kunst als solcher über die von ihr vermittelten konkreten Umwelten.
Gerade für aktuellere Kunstströmungen, wie sie sich in Abgrenzung von den Idealen des Modernismus gebildet haben, kann jedoch von einem mangelnden Bewußtsein für diese Problematik nicht mehr generell gesprochen werden. Umgekehrt fragt sich, inwieweit ein Diskurs, der eine vergangene Kultur der Sinnlichkeit gegenüber heutiger Realität beschwört, sich von der kritisierten Fixiertheit auf letztlich leere, unermüdlich wiederholte, Ideen absetzt, oder ob er nicht gerade so die institutionelle Abschottung bestätigt, die dafür mit verantwortlich sein dürfte.

Hans Belting. Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. C.H.Beck Verlag München, 1998. DM 84,-.

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Michael Hauffen

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