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Peter Sloterdijk, Blasen I & II , Sloterdijk


Eine gewisse Maria Porete pflegte bei Ihren Auftritten ohne viel Umstände direkt zur Sache zu kommen, und die war nicht irgendetwas, sondern das Absolute. Genauer gesagt bestand ihr Konzept darin, sich mit Gott in eins zu setzen und dann Gott selbst aus sich sprechen zu lassen. Das Publikum war in den verschiedenen Städten, die Porete bereiste, von dieser frühen Form expressiver Performance begeistert. Das brachte ihr den Vorwurf der Ketzerei ein, in Folge dessen man sie am 1. Juni 1310 in Paris öffentlich verbrannte.
Laut Peter Sloterdijk ist die Geschichte dieser Mystikerin nur ein Beispiel von vielen, das einen inneren Zusammenhang von Mystik und Kunst belegt.
Auch wenn sich seine neue umfangreiche Trilogie „Sphären” vorwiegend in philosophischer und theologischer Materie bewegt, wirft er in ihm auch ganz aktuelle und drängende Fragen auf.
Schon sein erstes großes Werk, „Die Kritik der zynischen Vernunft”, griff Fragestellungen auf, die von der Theorie der Moderne vernachlässigt worden waren, und zum damaligen Zeitpunkt via Alternativbewegungen massiv in die Alltagspraxis zurückkehrten. Und schon damals war es Sloterdijks Leistung die meist naiven bzw. obskuren Ansätze zwischen Psychotherapie, Ökologie und Esoterik, die im Windschatten der postmodernen Beliebigkeiten aufblühen konnten, mit einem tragfähigen theoretischen Fundament bedacht zu haben. Die hohe Auflage des damaligen Doppelbandes (angeblich die bis dahin höchste für ein philosophisches Werk in der Nachkriegszeit) bestätigt zumindest das starke Bedürfnis nach einer solchen Begründung.
Zentral für seine Philosophie war und ist das Denken Heideggers. Doch wenn sich Sloterdijk damals noch weitgehend damit begnügte dessen Theorie zu interpretieren und in ihr die Kraft eines unbeirrbaren Urdenkers freizulegen, weist er sie heute in ihre Grenzen, vor allem, indem er dem Prinzip einsamen Denkertums das Modell eines Lebensraums gegenüberstellt, der sich erst aus im Zusammenspiel mindestens zweier Personen konstituiert.
Aus diesem Grund nimmt er auch gegenüber den Idealen der Moderne, insofern diese das autonome Subjekt und die freie Entfaltung des Individuums privilegiert, eine abwertende Haltung ein. Dennoch könnte man darin auch eine Befreiung aufklärerischer Motive von störenden Voraussetzungen sehen, die für deren tendenzielle Erstarrung in bildungsbürgerlichen Konventionen verantwortlich sind. Allerdings zeichnet sich in dieser Beziehung Sloterdijks Diskurs nicht gerade durch systematische Differenziertheit aus, denn zwischen sensibilisierter Individualität und normierter Subjektivität liegen schließlich Welten.
Aufgrund dieser Lockerheit um Umgang mit den schwierigeren Problemstellungen heutiger Philosophie, und dank der enormen theoretischen Neugier des Verfassers, die über die Ursprünge der Philosophie hinaus bis in Fragenkomplexe religiöser und anthropologischer Natur reicht, lassen sich seine Ausführungen jedoch kaum auf ein Ressentiment konservativer Machtinteressen reduzieren, wie das bei Heidegger naheliegen dürfte. Sie enthalten dafür einfach zu viel Anregungen zum Nach- und Weiterdenken, und reißen einen mit ins theoretische Abenteuer und die Suche nach historisch existenten und aktuell denkbaren Formen sozialer und symbolischer Lebensräume. Wenn etwa den „surrealistischen” Quellen der Idee von Solidarität im Frühchristentum nachgegangen, oder (im 2. Band) der Ursprung der Philosophie als Etablierung einer souveränen Auffassung des kosmischen Geschehens rekonstruiert wird, so ist immer jenes leidenschaftliche Hinterfragen und Verstehen spürbar, das sich von der Autorität kanonisierter Konzepte nicht abstumpfen läßt.
Vielleicht ist die publikumswirksame Leichtigkeit, mit der Sloterdijk über manche Widersprüche hinweggeht, der entscheidende Einwand gegen seine Werke. Mangelnde Ernsthaftigkeit oder Verschanzung hinter unaussprechlichen Geheimnissen kann man ihm jedoch nicht vorwerfen. Seine Theorie bewegt sich zwischen solider philosophischer Arbeit und eigenmächtiger künstlerischer Freiheit, ohne nur in die bekannten Überheblichkeiten zu verfallen. Ob bei deren Nachvollzug die eigenwillige Sprache des Autors stört, wird dementsprechend ebenso Geschmackssache sein wie die Tatsache, daß manche Passagen unnötig aufgebläht und mehr der Überhöhung letztlich banaler Wahrnehmungen zu dienen scheinen. Die erwähnte Mystikerin kann daher als repräsentativ dafür angesehen werden, was Sloterdijks philosophische Neugier erregt. Und da ein guter Teil des mystischen Denkens heute in die Kunst geflüchtet sein dürfte, werden mit den verschiedenen Aspekten „surrealer Gemeinschaften” gerade im Zusammenhang ästhetischer Erfahrung immer wieder interessante Phänomene angesprochen.
Sloterdijks Überzeugung scheint mit Foucault zu sein, daß es sich hier um verschüttete und verdrängte Wissensformen handelt, die Lösungen für die Verfallstendenz heutiger Sozialsysteme enthalten. Daß es ihm gelungen sei, etwas davon freizulegen, läßt sich kaum bestreiten. Eine Bewährungsprobe unter den aktuellen Bedingungen oberflächlicher Beliebigkeiten würde allerdings in einer kollektiven Bewegung erfolgen müssen, die den Rahmen des Intimbereiches ebenso überschreitet wie den des öffentlichen Konsums ästhetischer Werke. Mit der konkreten Frage, wie sich unter heutigen Verhältnissen an die ursprünglichen Quellen von Solidarität als kultureller Ressource wieder gelangen läßt, wird man jedoch zunächst einmal auf den dritten Band der Trilogie verwiesen, der unter dem Titel „Schäume” auf die heutigen Gegebenheiten dissoziierter Globalität einzugehen verspricht.

Peter Sloterdijk, Sphären, Bd. I: Blasen, Bd. II: Globen; je DM 58,-.

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Michael Hauffen

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