Hanser Verlag 2000
erschienen 2000 in KUNSTFORUM
So viele Informationsquellen sie auch einschließt: unsere perfekte Anbindung an das Weltgeschehen via Medien verschafft uns nicht nur die Gewissheit, gut informiert zu sein, sondern erregt auch Zweifel daran, ob hier nicht ein zumindest verzerrtes Bild der Realität erzeugt wird. Im Rahmen von Medientheorien – bis hin zu solchen radikalen Positionen wie der, dass wir in einer komplett simulierten Welt leben würden – gibt es ehrgeizige Ansätze, die verlorene Sicherheit wiederzugewinnen, indem die Realität der Medien in den Mittelpunkt theoretischer und empirischer Analysen gerückt wird. Eigentlich waren es wohl die Künstler der Avantgarde, die dazu den ersten Anstoß gegeben hatten, insbesondere die Kubisten. Ihre gebrochenen Körper und Räume verfolgten die Absicht, das Medium Bild in seiner Eigenschaft als Transformation dreidimensionaler Realität auf eine zweidimensionale deutlich zu machen. Das illusionistische Moment, das suggeriert, dass das Zweidimensionale einen realen Raum wiedergibt, wurde durch ihre Art der Darstellung gebrochen und zurückgedrängt, während sich die konstruktive Leistung der Malerei und ihre Eigengesetzlichkeit, umso souveräner manifestieren konnten. Kernthese der Medientheorie ist bekanntlich Marshall McLuhans Satz „The medium is the message”. Weniger bekannt dürfte die Tatsache sein, dass McLuhan dabei zunächst vor allem im Sinn hatte, die Leitidee des Kubismus zu formulieren. Ausgehend von dieser engen Verbindung zwischen Medientheorie und Avantgarde rekonstruiert nun Boris Groys die wesentlichen Impulse beider Bewegungen als Versuche, aus den zweifelhaften Bahnen gesellschaftlicher Kommunikation, die sich in einzelnen Medien beziehungsweise ihren konventionellen Rezeptionsmustern konkretisieren, auszubrechen und die dahinterliegende Wahrheit zu offenbaren. Nach welcher Art von Logik das geschieht, damit befasst sich der erste Teil des Buches, in dem Groys auf seine in früheren Publikationen bereits ausgearbeitete Dialektik von kulturellen Archiven und Neuheit rekurriert. Das Leben unserer Kultur scheint davon abzuhängen, dass einerseits konkrete Vorstellungen davon existieren, was als Form – egal ob in Theorie, Kunstwerk oder Alltag – gültig ist, und dass andererseits diese Gültigkeit permanent an Phänomenen abgearbeitet werden muss, die in ihrer Art neu sind. Dieser andauernde Kampf – und das ist nun der neue Gedanke Groys‘ – wird angetrieben von einem stets vorhandenen Verdacht, dass nämlich die kulturell anerkannten Formen der Darstellung der Realität ein Bild vortäuschen, das die wahren Mechanismen, die dabei im Spiel sind, unserem Blick entziehen. Es ist leicht, sich klarzumachen, dass eine solche Theorie mit Situationen umgehen muss, die einer paradoxen Logik folgen, weil auch sie selbst und die konkreten Manifestationen, an denen sie sich orientiert, dieselben Verdachtsmomente auf sich ziehen, von denen sie handeln. In Groys‘ System wird diese Paradoxie in das schon erwähnte Oszillieren zwischen Etabliertem und Neuem überführt. Zwar gelingen vor allem KünstlerInnen immer wieder einmal Offenbarungen, die ein Medium in seiner Nacktheit zu erkennen geben, aber sie werden bald ins Archiv anerkannter Manifestationen aufgenommen, und verdecken dann selbst, was sie einmal enthüllt haben, so dass wieder neue Offenbarungen begehrt werden.Faszinierend ist diese Phänomenologie der Medien nicht nur, weil ihr Autor über eine durch ihren provokativen Witz in ihrer Klarheit noch gesteigerte Sprache verfügt, und eine profunde Kenntnis der Kunsttheorie der Moderne verfügt, so dass er aus großer Nähe am Geschehen der Avantgarde teilnehmen kann, sondern weil der Ansatz, alles über die Dynamik des Verdachts zu erklären, außerdem durch einen hohen Grad von Plausibilität überzeugen kann.Die eigentliche Leistung besteht deshalb vielleicht weniger darin, der Kette letzter Wahrheiten ein weiteres Glied angefügt zu haben, als in der Demonstration der Möglichkeit, ein Denkmodell argumentativ stringent zu verfolgen, das als unkonventionell bezeichnet werden muss. Die Anleihen bei Kierkegaard und Heidegger wirken unter diesen Umständen eher erfrischend und öffnen das Feld für den zweiten Teil des Buches, wo es um die Auseinandersetzung mit französischen Theoretikern, wie Levi-Strauss, Bataille und Derrida geht. Auch hier stellt sich heraus, dass jede einzelne Theorie, trotz der Schwächen, die sich im Abgleich mit den Stärken anderer Konstrukte zeigen, einen Gewinn bringt, sofern sie sich darauf einlässt, gegen die Konvention – und gegen „das Archiv” – eine heisse Spur zu verfolgen. Wenn man daher die Verabsolutierung eines Phänomens, wie hier das des Verdachts, mit postmoderner Skepsis beobachten wird, so schließt das nicht aus, dass man den Wert einer kohärenten Theorie schätzt, die das gesamte Feld der Problemstellungen in ein neues Licht stellt und zu weiteren eigensinnigen Durchbrüchen animiert.Boris Groys, Unter Verdacht. Eine Phänomenologie der Medien. Hanser Verlag, München. 232 Seiten, DM 36,-.
->Liste alle Texte
derzeit noch nicht aktiv, bitte versuchen Sie es später wieder