Kunstverein München2000
erschienen 2000 in springerin
Die Thematisierung urbaner Strukturen erfreut sich großer Beliebtheit. Ein maßgeblicher Grund hierfür dürfte darin liegen, dass sich im polyfunktionalen Labyrinth des Stadtraums machtstrategische Planziele immer noch vielfach brechen und umgehen lassen. Ohne die strukturelle Gewalt und die Überlegenheit kapitalistischer Ordnung und ihre Kontrollmechanismen zu leugnen, konzentriert sich „No Swimming” auf solche Stellen und Verläufe im metropolitanen Geschehen, die eher unvorhergesehenen Bewegungsspielraum in sich bergen.Sean Snyders Fotografien von gewöhnlichen Orten in Brasilia, einer Stadt also, die zunächst vollständig auf dem Reißbrett konzipiert worden war, zeigen die mehr oder weniger subtilen Abweichungen vom Plan und seinem rationalistischen Konzept, und zeugen damit beispielhaft vom Eigensinn anonymer BenutzerInnen, die sich den Raum zwar nicht aneignen können, ihm aber dennoch ihre – vielleicht sogar subversiven – Spuren einschreiben. Die Art der Aufnahmen entspricht in etwa der Perspektive eines Kulturforschers, der versucht die Lebensweisen der BewohnerInnen eines ihm fremden Raumes nachzuzeichnen. Dabei konzentriert sich der Blick in aller Nüchternheit auf die architektonischen Abweichungen von dem medialen Bild, das wir von Brasilia im Kopf haben: zu sehen sind Wohngebäude, Grünflächen mit Trampelfaden und andere angekratzte oder unerwartete Details – die Menschen, die darin leben, muss man sich dazu denken. Wenn Klaus Hohlfeld gewöhnliche Orte in seiner Umgebung durch Worte aus Styroporbuchstaben ergänzt, bevor er sie fotografiert, konfrontiert er sie mit ganz eigenen Perspektiven. Die Mischung aus didaktischer Attitüde und ironischem Kommentar öder Normalität, bekommt durch die übertriebene Banalität seiner Feststellungen einen starken Zug ins Dandyhafte. Auch seine filigranen und extrem detaillierten Papierarbeiten, die eine Art phantastische Planungsstudien für utopische Stadtlandschaften darstellen, steigen durch ihre Eigenwilligkeit ins Irreale aus, lassen sich nicht auf die Wahl zwischen besseren und schlechteren Möglichkeiten reduzieren. Pia Rönicke lässt die Materialität der Stadt ganz hinter sich und arbeitet ausschließlich mit animierten Comic-Zeichnungen oder Fotos aus Zeitschriften, deren Konvergenzpunkt der Traum von der städtischen Idylle zu sein scheint. Die Langsamkeit der Ein- und Überblendungen, durch die sie das heterogene Ausgangsmaterial verknüpft, verbunden mit dem melancholischen Ton der musikalischen Untermalung wirkt wie ein Gegenmittel gegen die Hysterie lifestylemäßiger Überbietung, wobei auch genderspezifische Fragen anklingen. Mit dem konkreten Kampf um städtischen Lebensraum befassen sich die Arbeiten von Henrik Olesen. Ein von den United Nations zusammengestellter Bericht über das bunderepublikanische Rechtssystem liegt mehrfach kopiert zum Mitnehmen auf dem Boden und wird vom Künstler nur durch einen schwarzen Schuh der Marke „Authority” kommentiert. Auf die verschiedenen Formen politischer Normierung verweisen auch weitere Exponate zum Thema Homosexualität, die um eine von Olesen selbst zusammengestellte Broschüre über jeweils geltende Restriktionen in den einzelnen Staaten der Welt zentriert sind. In sieben Ländern weltweit wird Homosexualität mit dem Tod bestraft, in weiteren 88 ist sie illegal. Aber Olesen geht es nicht allein um Feststellungen: Seine Arbeit soll praktischen Interessen nutzbar sein, ohne allerdings die Vorstellungen der Angesprochenen nur zu bedienen. Neben der betont antispektakulären Form seiner Arbeiten dienen ihm dazu Eingriffe in die architektonischen Gegebenheiten des Ausstellungraumes. Vor allem durch die Verengung eines Durchgangs zwischen zwei Sälen erreicht er einen spürbaren Effekt auf das Publikum – zumindest bei der Vernissage: an einem wichtigen Knotenpunkt war das distanzierte „Aneinander-Vorbei” blockiert – man musste sich einigen, wer zuerst kommt. Vielleicht ist das als Anregung zu einer Politik der kleinen Schritte zu verstehen – allerdings jenseits der Logik der Nivellierung.
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