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So ist die Welt


Titel von Ausstellungen sind in der Regel eine Art konzentrierter Programme. Wer die Sprache des Zeitgeistes beherrscht, kann unter Umständen in einem Wort schon klarmachen, wie die darunter subsumierte Kunst verstanden werden soll. Insofern es in der Kunst darum geht, jede Instrumentalisierung zu sabotieren, ergibt sich daraus ein Konflikt, der ein bezeichnendes Licht auf die Bedingungen ihrer Existenz wirft. Der Titel dieser Ausstellung, dessen - wenn auch verstaubter - Universalismus ihn als ein Musterexemplar positiver Programmatik auszuweisen scheint, stammt von Peter Wüthrichs gleichnamiger Arbeit, wo er tatsächlich eine diesbezüglich prägnante Ambivalenz zum Ausdruck bringt.
Beim Betreten des Galerieraums fällt zunächst das am Boden ausgebreitete buntgescheckte Oval auf, das Wüthrich als "literarisches Aquarell" bezeichnet. Ausschließlich unter formalen Gesichtspunkten betrachtet, läßt es sich als Beispiel konkreter Kunst beschreiben. Demgegenüber räumt der Titel der Arbeit eine gegenständliche Lesart ein; es kommen sogar landschaftliche Deutungen in Betracht, wie etwa die, daß es sich um eine Art abstrakter Visualisierung eines kleinen Sees handelt. Darüber hinaus sind die bunten Rechtecke, aus denen sich dessen Oberfläche zusammensetzt, nicht einfach gemalt, sondern die Rückseiten von Büchern - das eigentliche Markenzeichen des Künstlers stellt also eine Verbindung zu dem her, was sich als Objektkunst in die jüngste Kunstgeschichte einordnen läßt. Es sind ausschließlich in Leinen gebundene Bücher, mit denen Wüthrich anstelle traditioneller Materialien arbeitet, und womit ihm die wesentliche Rückführung der Bedeutungen gelingt. Der Stoff, aus dem hier die Träume sind, ist signifikanter Bestandteil einer kulturellen Praxis, die ein spezifisches gesellschaftliches Milieu charakterisiert. Schließlich verweist die Art des Umgangs damit, also Bücher wie Bauelemente zu verwenden und ihren Inhalt zu ignorieren, auf die Kindheit. Das Bild rundet sich ab als das eines kreativen Prozesses, der in einer idyllischen und hermetisch abgeschlossenen Welt situiert ist.
Aber, ob Elternhaus oder Bürgertum - es gibt immer eine Instanz, die die innere Ordnung gegen Widerstände (von außen und innen) verteidigen muß. Das Buch mit dem Titel "So ist die Welt" repräsentierte in Wüthrichs ursprünglicher Installation diese systematische Stelle, wenn es wie eine Gesetzestafel von oben auf das Geschehen herabblickte, mit der Behauptung einer endgültig gegebenen und erkannten Ordnung. Das Ausstellungskonzept der Galeristin Susanne Albrecht verfolgte nun die Absicht, die Abgeschlossenheit des so konstruierten Raumes aufzubrechen. In der daraus resultierenden Verschiebung des Materials kam das bedeutsame Buch auf die Einladungskarte und der Münchner Künstler Aribert von Ostrowski wurde eingeladen, die dadurch freigebliebene Wand zu bespielen.
Um ein auf die Wand gemaltes, unterteiltes Rechteck - einem palermoartigen Reflex auf die gnadenlose Fensterfront des Galerieraumes - sind seine Bildobjekte weit oberhalb in Gruppen angeordnet, und nehmen damit wie die Lettern eines absoluten Textes den Ort ein, der dem strengen und gebieterischen Gegenprinzip zu naiver Frische entspricht. Bei genauerem Hinsehen stellt sich aber schnell heraus, daß es sich hier nicht um die Inszenierung apodiktischer Wahrheiten, sondern um eine diskursive Formation handelt, die sich solchen Erwartungen mit Vergnügen widersetzt. Dabei geht es nicht um abstrakte Opposition. Beispielsweise läßt sich aus einem der Bilder erschließen, daß der zentrale schwarze Rahmen die schematische Wiedergabe der Glasfront zwischen Wohnzimmer und Garten eines Freundes ist, der sich für diesen Ort eine Gruppe von Arbeiten Ostrowskis erbat. Lebendige Bedürfnisse, die eine Gesellschaft von Spezialisten, Verwaltern und Vermarktern wegen ihrer unkontrollierbaren Komplexität als störend empfindet und abzuwerten versucht, sind damit äußerst pointiert in den exklusiven Raum der Kunst wieder eingeführt worden. Ob es darum geht, das Betriebssystem Kunst bei der Arbeit, etwa über verschiedene Serien von medialer Reproduktion und personeller Involviertheit zu zeigen, oder um die Konfrontation mit merkwürdigen Nach- und Nebenwirkungen - die Illusion eines per se souveränen Autors wird von Ostrowski gründlich dekonstruiert. Als Spiel mit den Spuren verdrängter Wahrheiten imaginieren die Elemente seines "Oeuvre" also weniger eine ferne Utopie, als daß sie zur Wahrnehmung eines verleugneten Reichtums an schon gegenwärtiger natürlicher und sozialer Energie ermuntern.
Wenn somit diese Ausstellung ein im Raum der Kunst generell beobachtbares Phänomen deutlich macht, nämlich: die Simulation idealisierter Kindheit, dann fragt sich, ob dies nicht notwendig jene unnahbare Machtinstanz mit heraufbeschwört, die die Akteure ihren Gesetzen unterwirft. Andererseits ist eine souveräne Offenheit denkbar, die weniger darum besorgt sein muß, künstlerische oder sonstige Freiheit durch eine stabile Ordnung garantiert zu wissen, als vielmehr die kreative Befreiung von vorhandener Ordnung überall dort voranzutreiben, wo diese dem innerweltlichen Glück im Weg steht.

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Michael Hauffen

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