Text

Oliver Jahraus - Theorieschleife


Der Umgang mit Medien und Zeichen scheint in der Kunst ein selbstverständliches Indiz für ihre Modernität zu sein. Man kann nicht mehr davon ausgehen, dass sich Sinn unmittelbar zur Geltung bringen lässt, und jede Übermittlung bringt eigene strukturelle Bedingungen ins Spiel, die das einschränken, was jeweils artikulierbar ist. Visuelle Formen der Kommunikation sind davon nicht ausgenommen.
Man kann das bei der Verwendung von Medien in der Weise berücksichtigen, dass man Filter- und Verfremdungseffekte, blinde Flecken oder ähnliches einkalkuliert und ihnen durch andere Filter gegensteuert. Oder indem man die Vorstellung der Übermittlung einer Botschaft aufgibt und sich der Eigendynamik des Mediums überlässt – und so bis hin zum sinnfreien, leeren Ausdruck des Mediums selbst gelangen mag. Aber man kann auch darüber nachdenken, welche Verhältnisse hier vorliegen, und sich unter diesem Gesichtspunkt auf Theorie einlassen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass man nun in die Lage käme, von einem äußeren und insofern erhabenen Standpunkt zu überblicken, wie etwa die Beziehung zwischen Medium und Information genau beschaffen wäre, und dann mit dem Wissen, wie ein Medium genau funktioniert wieder in die Praxis zurückgehen könnte. Denn auch die Theorie (und mit ihr die Wissenschaft) ist eine Art von Medium zur Beobachtung von ... – und daher in die Problematik, die sie als Medientheorie untersucht, selbst involviert.
Dass sich daraus Paradoxien ergeben und wie man vorgehen kann, um nicht von ihnen lahmgelegt zu werden, das zu konzipieren unternimmt Oliver Jahraus (teilweise in Zusammenarbeit mit Benjamin Marius Schmidt) unter dem Titel „Theorieschleife”, und deutet damit schon an, dass es sich um den Umgang mit rekursiven Prozessen handelt. Für sein Ziel, neue Grundlagen einer Medientheorie zu schaffen, stützt er sich auf die Systemtheorie, vergleicht aber deren Vorgehensweise zusätzlich mit der der Dekonstruktion, um ihre Konturen klarer herausarbeiten zu können. Entscheidend für beide Ansätze ist, dass sie nicht von Identität ausgehen, sondern von Differenz, und das bedeutet, dass für sie die Welt und die in ihr vorkommenden Objekte keine im Voraus gegebene Realität haben, sondern erst durch Beobachter und durch die von ihnen verwendeten Unterscheidungen konstruiert werden. Die Beobachter sind jedoch als solche real und von ihnen aus lässt sich auch über unsere Welt Grundlegendes herausfinden, allerdings mit der erwähnten Einschränkung, dass man jederzeit mit Paradoxien rechnen und blinde Flecken voraussetzen muss.
Um etwas über Beobachter zu erfahren, ist Kommunikation essentiell, und es dürfte nicht allzuschwer sein, sich klar zu machen, dass unsere komplexen Möglichkeiten zu kommunizieren und das Kommunzierte zu verarbeiten, in enger Beziehung zur Entwicklung kommunikativer Medien stehen. Von der Sprache als Medium der Kommunikation unter Anwesenden (unterstützt durch Gesten und räumliche Ordnungen) führt historisch die wohl wichtigste Entwicklungslinie zur Schrift, des es einerseits erlaubt, kommunikativ Zeiten und Räume zu überbrücken (und sich damit auch vom Druck unmittelbaren Antwortenmüssens zu entlasten), aber andererseits die Gefahr erhöht, dass Mitteilungen nicht angenommen oder verstanden werden. Das erzwingt eine Veränderung nicht nur der Form, sondern auch der Inhalte, und hieran lässt sich beispielhaft nachvollziehen, wie der Wechsel in ein anderes Medium die Möglichkeiten der Kommunikation beeinflusst.
Man kann sich nach dieser Beobachtung kaum noch der Einsicht verschließen, dass auch „ganz normale” Beziehungen, Gemeinschaften oder Gespräche medienvermittelt sind, und dass es daher keinen medienlosen Zugang zu irgendetwas gibt, außer vielleicht zum eigenen Bewusstsein. Insofern unterscheidet sich dieser Medienbegriff auch von demjenigen, der den Alltagssprachgebrauch bestimmt, wo mit Medien nur sogenannte Massenmedien gemeint sind, die mit dem konkurrieren, was man unabhängig von ihnen – sozusagen in Eigenregie – kommunizieren kann.
Die Gewissheiten authentischer Artikulation sind vielleicht vor allem durch Derridas Texte zu Fall gebracht worden, und so ist es nicht überraschend, dass Jahraus von der Strategie dekonstruktiven Schreibens Anregungen bezieht. Aber mit der Systemtheorie bezweifelt er die Notwendigkeit dem Schriftmedium vorrangige Geltung – zumindest über unsere alteuropäische Kulturtradition hinaus – zuzuerkennen. Nicht zu übersehen ist, dass auch Bilder als Medien fungieren. Zwar ist auch deren Wahrheitsgehalt zu relativieren, aber sie bringen eine Qualität ins Spiel, die durch Sprache nicht ersetzt werden kann. Als grundlegender Unterschied lässt sich der zwischen Sequentialität und Simultaneität feststellen, und das führt zu einer Fokussierung der Zeitstruktur von Medien.
Schließlich sind Medien als Schnittstelle von Bewusstsein und Kommunikation in jene umfassenderen Netzwerke eingebettet, die wir als Kulturen bezeichnen, woraus sich interessante Fragen ergeben, denen einzelne Gruppen von TheoretikerInnen schon seit geraumer Zeit nachgehen. Oliver Jahraus beschränkt sich hier auf einen Blick ins Gebiet der Literaturwissenschaft. Die Relavanz seiner Konzeptualisierung einer Medientheorie auf dem neuestem Stand systemtheoretischer Forschung betrifft aber die Kunsttheorie sicherlich ebenso sehr.

Oliver Jahraus,Theorieschleife. Systemtheorie, Dekonstruktion und Medientheorie. Passagen Verlag Wien, 2001.

Newsletter

Michael Hauffen

derzeit noch nicht aktiv, bitte versuchen Sie es später wieder