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The Chrono-Files


Welche Bedeutung digitale Technologien für die Möglichkeiten subjektiver Selbsterfahrung besitzen, hängt vermutlich stark von der jeweiligen Perspektive ab. Jedenfalls kann man heute nicht mehr von menschlicher Entfremdung durch Technik sprechen, ohne zu übergehen, dass sich im Bereich der Computer- und Internetkultur eine Art von freier und produktiver Assoziation heterogener sozialer Gruppen ergeben hat, die weit über das hinausreicht, was durch administrativen oder ökonomischen Druck erreichbar wäre. Damit erhält die globalisierte Informationsgesellschaft bis in ihre krisenhaften Tiefen hinein Spuren einer Spontaneität, deren Faszination sich niemand entziehen kann. Dennoch dürfte die Frage nach unserem Selbstverständnis im Raum der neuen Medien ohne Rekurs auf eine breitere Basis ästhetischer und theoretischer Quellen nicht zu beantworten sein.
Die Installation von Jörg Auzinger illustriert das mit einer schlichten Metapher. Ein Mann, der ein Buch liest, benützt als Lichtquelle ein hinter ihm stehendes Fernsehgerät. Durch Betätigung eines Lichtschalters kann man diesen ausschalten und ihm das Licht entziehen. Switch Enlightenment spielt damit auch auf das Licht der Aufklärung an, jenen integralen Bestandteil der Moderne, dessen Konnex zur industriellen Revolution nicht zu bestreiten ist. Aber man muss behutsam vorgehen, wenn man das Besondere dieser Entwicklung und die Gefahren, die ihren Errungenschaften drohen, richtig verstehen will. Nicht ohne Ironie dürfte in diesem Sinn die Tatsache zu verstehen sein, dass Auzinger für die Szene eine Sequenz aus dem Film Fahrenheit 451 von François Truffaut, verwendet. Dort dienen die Bildschirme einem totalitären System, das das Lesen von Büchern als Zeichen freiheitlichen Widerstands verfolgt und bestraft, während unsere Situation eher dadurch charakterisiert ist, dass wir aus der Differenz verschiedener medialer Erfahrungsmöglichkeiten zu lernen versuchen.
Werke der Film-, Video- oder Medienkunst können uns dabei gleichermaßen wichtig sein, und sie werfen nicht zuletzt Probleme der Archivierung und Konservierung auf. Was dem Mainstream nicht konform genug ist, also oftmals gerade die interessanteren Ansätze, verschwindet schnell wieder in Archiven – und wird auch nicht in der Weise gepflegt, die seinen Bestand auf Dauer gewährleistet. Zumindest für die Videokunst schafft nun eine digitale Umgebung Abhilfe, die unter dem Titel MetaPlex in der Ausstellung gezeigt wird. Peter Cornwell hat damit ein System bereitgestellt, das es ermöglicht, unbegrenzte Mengen von Videofilmen nicht nur in höchster Qualität digital zu archivieren, sondern auch in einer virtuellen Ausstellung zu arrangieren.
Die Gruppe unmovie verfolgt dagegen ein Projekt, in dem anonyme Videostreams aus dem Internet eine zentrale Rolle spielen. Allerdings werden diese nicht museal isoliert, sondern in einen Diskurs eingebunden. Auf der Grundlage bekannter Texte führen Figuren wie Nitzsche, der Zenmeister Dogen und Bob Dylan ein Gespräch, das von Assoziation zu Assoziation springt. Den Videosequenzen sind ebenfalls Begriffe zugeordnet, und sobald einer von ihnen im Gespräch fällt, erscheint das entsprechende visuelle Material. Als Betrachter kann man sich angesichts dessen von der Vielfalt symbolischer Verweise anregen und treiben lassen, und das von der Installation gebotene Material als eine Art multimediale Poesie lesen. Aber man kann auch die „Maschine” sich selbst überlassen, und genießen, dass hier die Mühen der Verarbeitung kultureller Differenz einem wartungsfreien Automatismus überlassen sind.
Wo die eigene Identität in Beliebigkeit und Durchschnittlichkeit zu verschwinden droht, bietet sich schließlich das Mittel der physischen Selbsterfahrung qua Schmerz an. Niki Passath entwarf für diesen Wunsch eine Tätowiervorrichtung. Das Ergebnis ist eine Art tätowierter Kringel, der aus Datum ,Uhrzeit und Zufallszahlen über eine Formel generiert wird, die gerade komplex genug ist, um die grafische Figur jedes Mal wieder anders ausfallen zu lassen. Zurück bleibt das dauerhafte Zeichen der Preisgabe an einen Mechanismus – Passath nennt ihn Kurt –, in den sich ein Teil der eigenen Souveränität ausgelagert hat.
Dieselbe Logik findet sich in sozialen Systemen, wobei man allerdings hier wie dort fragen könnte, wie bewusst die Preisgabe vollzogen wird. Annja Krautgassers Installation zielt diesbezüglich auf die Möglichkeiten beobachtet und kontrolliert zu werden, sobald man sich im Internet bewegt. In einer animierten Grafik zeigt sie die IP-Adressen von Computern, die gerade die Website der Landeshauptstadt München besuchen. Die vielen Verbindungen, die hier zwischen den verschiedenen Nummern gezogen werden, suggerieren eine Vielfalt von Kontakten, die allerdings nicht realisiert wird. Man ist zwar mit nicht allein im Netz, bleibt aber blind für die meisten Aktivitäten der Anderen.
In ./logicaland dagegen, kann der Betrachter auf der Ebene der Beobachtung globaler Zusammenhänge ins Geschehen eingreifen. Es handelt sich um ein Simulationsspiel, das für die Idee demokratischer Steuerung der Weltgesellschaft ein Modell bereitstellt. Jeder der mitspielt, kann zu einer Reihe von regelmäßigen Entscheidungen seine Stimme abgeben. Die Ergebnisse dieser Wahlen werden dann in der Simulation umgesetzt und bestimmen den Verlauf von Entwicklungen, die sich langfristig mitverfolgen lassen.
Mit einem Manifest zur Abhängigkeit digitaler Kultur von fossilen Energien meldet sich schließlich die Gruppe Infossil zu Wort. Auch wenn hier der Energieverbrauch niedrig zu sein scheint, ohne eine industrielle Produktion wäre das alles nicht denkbar, und bekanntlich wird die dafür erforderliche Energiereserve schon in naher Zukunft aufgebraucht sein. Wer über diese geschichtliche Grenze hinausblicken will, muss daher vor allem dem kulturellen oder physischen Tod ins Gesicht sehen. Auch die von Infossil entworfene Vorstellung, dass unsere toten Körper später als Energiespender für das Weiterleben von Informationen dienen könnten, wirkt eher düster, aber dafür lässt man so den engen Rahmen der aktuellen Fixierungen hinter sich.

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Michael Hauffen

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