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Xtreme Houses


Während die Avantgarde der großen Architektenbüros zunehmend erkennt, welche Rolle die soziale Dynamik von Körpern in Bewegung auch in ihrem Metier spielt, und ihre Konzepte daran orientiert, bleibt der Großteil gebauter Realität nach wie vor starren Konventionen verhaftet. Im Alltag stößt der Wunsch nach mehr experimentellem Spielraum auch hier auf bürokratische Kontrollinstanzen, deren Aufgaben übrigens zunehmend von Architekten übernommen werden, die mit Einhaltung und Optimierung von restriktiven Normen für sich werben. Neben dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit gerät hierbei nicht zuletzt die Forderung nach Überwachung und Ausgrenzung bestimmter sozialer Gruppen immer mehr in den Fokus.
Es überrascht daher nicht, wenn sich an den Grenzen des Machtbereichs etablierter Architektur Widerstand manifestiert, und wenn dieser nicht nur von einigen Architekten, sondern auch von Amateuren einer individuell oder situativ inspirierten Lust an der Gestaltung ausgeht. Die Kuratoren der Ausstellung Xtreme Houses betonen denn auch, dass sie von Architektur im Sinne einer offiziellen Disziplin nicht viel verstehen, ohne deshalb ihre thematische Kompetenz in Abrede zu stellen. Sie ergreifen Partei für eine Schar von Außenseitern der Baukunst, die es verstehen, Chancen und Möglichkeiten im Netz der Systeme zu entdecken und zu nutzen.
Zunächst sind da einmal jene Individualisten, denen es in einem Standard-Einfamilienhaus vor allem zu langweilig wäre. Oder wie sonst kam Robert Bruno auf die Idee, sich in Texas sein Traumhaus aus Stahlplatten zusammen zu schweissen, das zudem auf seinen 4 Stelzen wie eine gelungene Skulptur der klassischen Moderne aussieht? Die Gruppe FAT (Fashion Architecture Taste) schließt an postmoderne Trends an, wenn sie Elemente von Pop, Kleidermode und Disneykultur in Gebäudeformen und Fassaden zitiert, und dabei, vor allem mit ihrem Antioedipal-House dem psychischen Grundkonflikt durchschnittlicher Eigenheimbesitzer Ausdruck gibt.
Gregor Passens Hausobjekt Caterpillar zielt direkt auf die Abgrenzung nach Außen, ohne die eine heimelige Wohnwelt in Zeiten zunehmender globaler Verelendung nicht zu haben ist. Sein symbolisches Hausobjekt aus Wellblech braucht nur auf der Seite zu liegen, um das etwas verlängerte Kaminrohr und ein Paar umlaufende Abflussrohre als Attribute eines Panzerfahrzeugs erscheinen zu lassen. Michael Sailstorfers Aluminiumzelle mit Klappfenster ist komplementär dazu aus Flugzeugschrott gebastelt und verspricht auch für Menschen ohne eigenes Territorium einen exklusiven Aufenthaltsort zu bieten; kann man es doch als parasitäres Schmuckstück auf dem Dach eines anderen Gebäudes positionieren.
Das Fisherman’s House von Atelier van Lieshout bietet sich dagegen für diejenigen an, die schnell und kostengünstig eine ökologische Nische draußen in der Natur erschließen wollen. Alles an diesem minimalen, aber funktionstüchtigen Haus lässt sich leicht beschaffen oder herstellen – und wieder mitnehmen, falls sich herausstellen sollte, dass der Aufenthalt an einem einmal gewählten Ort nicht erwünscht ist.
Es dürfte noch viele andere Gründe geben, warum sich die Frage nach einem Platz zum Leben zunehmend nur noch temporär stellt. Für manche scheint Mobilität sogar die Erfüllung eines tiefen Wunsches zu sein. Die Häuser des Australiers Sean Godsell, kleine, fast handliche Holz-/Metallkonstruktionen sind mit dem Boden nicht fest verbunden, sondern stehen auf vier Beinen wie ein Möbelstück. Die knappen Abmessungen, die einen Transport erleichtern, werden durch technische Finesse kompensiert. Auch das Kugelhaus von Meix Meyer dürfte durch solche Überlegungen inspiriert sein. Es wurde 1971 in der DDR als Serienprodukt für eine industrielle Fertigung konzipiert, die niedrigen Preis mit geringem baulichen Aufwand verbunden hätte. Seine Produktion scheiterte jedoch am Widerstand von Behörden.
Noch leichter macht es sich Valeska Peschke mit ihrem aufblasbaren Instant Home, das allerdings nur als Requisit für ein karikierendes Spiel mit den Attributen der Eigenheim-Normalität fungiert. Sofa, Tischchen und Fernsehgerät vermitteln Geborgenheit, auch wenn sie nur mit Luft gefüllt sind, und im nächsten Moment in sich zusammenfallen können. Was hier als Mechanismus der Vortäuschung leicht durchschaubar ist, könnte an anderen Stellen im System weniger offensichtlich, aber analog funktionieren.
Temporär aufgestellte Bauten können auch eher improvisiert sein wie Oscar Tuazons Dome, eine aus Kartondreiecken zusammengesetzten Kuppel, die Platz für eine kleine Partygesellschaft bietet oder Michael Höhnes’ Dosenhaus, das sich als attraktives Recyclingprodukt auch ganz pragmatisch einsetzen lässt.
Winfried Baumann verweist mit seinen zum Schlafplatz erweiterbaren Rollcontainern auf die Situation einer wachsenden Anzahl von Obdachlosen, für die Mobilität allerdings kein Spaß ist. Im Buch zur Ausstellung ist ein ähnliches Konzept von Krzysztof Wodiczko dokumentiert, das bereits 1988 in den USA erstmals zum Einsatz kam. Vermutlich spielt auch das Snail Shell System der Gruppe N55, einem leicht weg zu rollenden Plastikzylinder, grade groß genug, um sich darin auszustrecken, auf diese Problematik an. Die Gruppe aus den Niederlanden legt dabei zudem, wie auch bei ihrem zweiten Projekt, einer beliebig dimensionierbaren Gitterkonstruktion aus Serienteilen, Wert auf Schwimmfähigkeit.
Den raffiniertesten Coup dürfte hier allerdings Michael Rakowitz mit Bill Stone’s PARAsite gelandet haben. Es handelt sich dabei um ein Mini-Tragluftzelt, das den nötigen Druck über einen Schlauchansatz aus einer der Abluftöffnungen bezieht, die sich nicht nur im New Yorker Stadtraum überall finden. Dadurch wird dieser Schlafplatz nicht nur stabilisiert, sondern auch beheizt. Das Produkt wird zum Preis von fünf Dollar angeboten und eine Klage gegen den Produzenten konnte durch Verringerung der Höhe abgewiesen werden.
Angesicht von so viel Kreativität gerät das massenhafte Elend Unbehauster womöglich etwas aus dem Blick, was in der Ausstellung unter anderem durch die Arbeit von Marjetica Potrc korrigiert wird. Ihre Arbeit East Wahat Upgrading Program zitiert einen Haustyp, der in so genannten Shantytowns weltweit zu finden ist. Obwohl von Bulldozern bedroht, lehnen es die Bewohner solcher selbsterrichteten Bauten regelmäßig ab, in „öffentliche” Wohnblocks umzuziehen. In Amman entschloss sich daher die Stadtverwaltung, sie zu legalisieren, und zudem mit Wasser, Strom und Straßen zu versorgen.
Solche Art von Unterstützung für selbstorganisierte Ansätze würden sich alle diejenigen wünschen, die sich als Architekten fühlen, aber nicht als solche ernst genommen werden. Das Beispiel macht allerdings Hoffnung, ist es doch symptomatisch dafür, dass der Glaube an die Überlegenheit von Planungshierarchien auch auf Seiten der Bürokratie nur relativ unverrückbar ist.

Weitere beteiligte Künstler: Alles Wird Gut, Allmann, Sattler,Wappner, HAI Merlin Studio, Jones Partners, Po.D, Room Interior Products, Temporary Services mit Dave Whitman.

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Michael Hauffen

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