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Schleuser.net - Transit-Wellen


Straßenunterführungen sind nicht nur technische Einrichtungen, die die verkehrsmäßige Erschließung einer Stadt verbessern. Wie man am Beispiel des Münchner Altstadttunnels sehen kann, können sie auch massive Einschnitte bedeuten, weil ihre Zufahrten das urbane Gefüge unterbrechen. In diesem Fall bedeutet das konkret, dass das Areal der Münchner Pinakotheken von der Innenstadt deutlich isoliert ist, auch wenn im neuesten Bau, der Pinakothek der Moderne, eine dominante diagonale Achse die Richtung zum Stadtzentrum markiert. Diese Achse weist sozusagen vor allem anderen ins Leere, zu einem jener unterirdischen Monumente des Individualverkehrs, deren Existenz mehr oder weniger verdrängt zu werden pflegt.
Genau in diesem Nicht-Ort, der nicht nur metaphorisch das metropolitane Unterbewusstsein beherbergt, positioniert sich die Künstlergruppe Schleuser.net mit ihrem Beitrag zum Thema „Kunst im öffentlichen Raum”. Im Rahmen der Aufdeckung latenter Brüche und Machtverhältnisse in der urbanen Ordnung, die auf allgemeine soziale Widersprüche verweisen, geht es Ihnen dabei aber noch um ein anderes Thema. Wie der Name Schleuser.net schon unmissverständlich zum Ausdruck bringt, sind es bestimmte Praktiken, die im Zusammenhang mit dem globalen Problem der Migration stehen, und die Frage nach deren Legalität bzw. Illegalität, der sich die Künstlergruppe in erster Linie verschrieben hat.
Der Clou bei der Geschichte ist nun, wie die Verbindung vom einen zum anderen Topos hergestellt wurde. Schleuser.net installierten in der Unterführung einen Radio-Sender, der sich die Tatsache zunutze macht, dass dort Autofahrer nicht nur für ca. 30 Sekunden in den Untergrund der Stadt abtauchen, und davon eigentlich nichts wissen möchten, sondern dass dabei auch noch der normale Radio-Empfang unterbrochen wird. Der Sender von Schleuser.net schließt diese Lücke, aber nicht, indem er mit einem konventionellen Unterhaltungsprogramm das Bedürfnis nach Aufgehobensein erfüllt, sondern indem er an dieser nicht ganz unempfindlichen Stelle mit Gegendarstellungen zum herrschenden medialen Diskurs aufwartet.
Das im Tunnel ausgestrahlte Radioprogramm schleust für 30 Sekunden Informationen zur Situation von Flüchtlingen ins Bewusstsein der Autofahrer, und hinterfragt die Kriminalisierung von Schleuser-Organisationen, die ihre Kunden nicht unbedingt nur durch Vortäuschung falscher Tatsachen gewinnen. Nach der Auffassung von Schleuser.net ist die Darstellung von Schleppern und Schleusern als betrügerischen Verbrechern, die ihre „Opfer” nur auszubeuten beabsichtigen, eine bequeme Verleugnung der Tatsache, dass diese Profession jene Grenzen unterwandert, die eine restriktive Einwanderungspolitik immer radikaler zu befestigen trachtet. Schleuser.net stellen diese Ordnung auch dadurch in Frage, dass sie sich als „Bundesverband Schleppen & Schleusen” einen institutionellen Rahmen geben, der die etablierte Rollenverteilung zwischen offiziellen Organen, „Tätern” und „Opfern” unterläuft, und Kritik von einer Position aus ermöglicht, die ansonsten auf dieser Seite der sozialen Grenze immer schon mit dem Stigma der Illegalität behaftet ist.
Schleuser.net sprechen von einer zunehmenden Tendenz in der Politik, sich zunehmend auch ästhetischer Mittel zu bedienen, und damit von einer Situation, der sie als Künstler umgekehrt nur mit politischen Inhalten begegnen können, um nicht – wie viele andere Kulturschaffende – ungewollt als Machtinstrument zu fungieren. Man könnte fragen, ob diese Offensive politisch oder ästhetisch motiviert ist; auf jeden Fall bedient sie sich aber einer ausgefeilten Strategie, die auch unter ästhetischem Aspekt Einiges zu bieten hat. Neben der zu Transit-Wellen veröffentlichten Website (www.transitwellen.net), sowie einer Reihe von Publikationen zu Schleuser.net, schließt vor allem die präzise Positionierung der Aktion im medialen und urbanen Raum an beste Traditionen von konzeptueller bzw. site-spezifischer Kunst an.
In Bezug auf den medialen Raum sei noch erwähnt, dass es in der Bundesrepublik Deutschland bis heute gesetzlich verboten ist, ohne amtliche Genehmigung Radiosender zu betreiben, unabhängig von deren Reichweite. Das Terrain der Radiowellen gleicht einer staatlichen Festung, und wird von mehreren zusammenwirkenden Behörden kontrolliert. Welche bürokratischen Hürden sich da selbst für ein Projekt ergeben, das marginaler kaum gedacht werden kann, und zudem selbst von einer Behörde getragen wird, lässt sich in Form von Protokollen auf der oben genannten Website nachlesen.
Letztlich hat aber doch noch der Anspruch auf künstlerische Freizügigkeit gesiegt, und so konnte rechtzeitig zur Eröffnung des Projekts eine Busfahrt durch den Tunnel stattfinden, bei der nur das Radio eingeschaltet werden musste, um für 30 Sekunden den Originalton von Transit-Wellen zu empfangen. Während der An- und Rückfahrt zum Kunstverein, wo das Projekt offiziell eröffnet wurde, rundeten noch zwei im Bus gehaltene Kurzvorträge das Bild ab. Einer davon bestand in einer schlichten Beschreibung des Alltags von Flüchtlingen bzw. Asylbewerbern, denen es zu ihrem Glück oder Unglück gelungen ist, bis nach Deutschland zu kommen.


(Die Mitglieder von Schleuser.net sind: Manuela Unverdorben, Farida Heuck, Ralf Hohmann und Laurentius Schmeier)

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Michael Hauffen

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