Text

Joseph Beuys - »Der Tod hält mich wach«


Der hohe Grad von Abstraktheit und der elitäre Charakter der modernen Avantgarden gingen ihm gegen den Strich. Ihre Impulse aufnehmend galt seine Anstrengung darum einer Ausweitung modernistischer Semantik auf die Felder des Alltäglichen oder Politischen sowie in mythische und religiöse Kontexte. Und ähnlich wie bei den Vertretern der Arte Povera wurde die Lösung in einer Erfahrung des Elementaren gesucht. Die Verwendung von Erdfarben, grober Pinselschrift, vor allem aber von einfachen Materialien wie Filz, Fett und Erde sollte eine Art sinnlichen Humus schaffen, der die entfremdeten Zeitgenossen mit ihren verschütteten geistigen Fähigkeiten wieder zu einer grundlegenden Wahrnehmung ihrer Existenzbedingungen befähigte. In einem Vortrag nennt Beuys als wichtigstes Ziel seiner ästhetischen Provokationen das Vermögen des Einzelnen, seine Situation sprachlich zu kommunizieren. Der bekannte Ausspruch „jeder Mensch ist ein Künstler” meinte denn auch in erster Linie die eigentliche Voraussetzung zu einer breiten Mitwirkung der Individuen an ihrer gesellschaftlichen Situation als an einer „sozialen Plastik”.
Neben seiner Funktion als Mitbegründer der grünen Partei oder dem spektakulären Widerstand des Kunstprofessors gegen staatliche Bevormundung verlor er allerdings sein primäres Anliegen, Fragen aufzuwerfen und vorhandene Erwartungen zu irritieren, um jenen „Humus” immer wieder zu regenerieren und anzureichern, nicht aus den Augen.
Die kleine Ausstellung von Arbeiten in der Pinakothek der Moderne München bietet zwar einen repräsentativen Querschnitt durch verschiedene Perioden von Beuys Schaffen, lässt aber von jener Dynamik nur noch wenig spüren. Mussten einem schon zu seinen Lebzeiten Zweifel kommen, ob sich der Anspruch einer „geistigen Erneuerung des Volkes” und der ständig wiederholte Aufruf „zeig deine Wunde!” nicht in einer spektakulären Kultfigur mit hohem Medien- und Marktwert zu erschöpfen drohte, so erscheinen nun die konservierten und archivierten Residuen einer Figur, die nicht zuletzt durch ihre performativen Auftritte immer wieder für Schockmomente gesorgt hatte, angestaubt und in ihrer Theatralik beinahe schon konventionell.
Es mag das Schicksal aller Formen kultureller Symbolik sein, ständig durch neue Trends und Fragestellungen überholt zu werden. Aber gerade bei Beuys dürfte es auch damit zusammenhängen, dass man die Spuren seiner Arbeit nicht allein in seinen Bildern und Objekten suchen darf, sondern auch in den Diskursen und Bewegungen, die er initiiert und mitgetragen hat. Zweifellos sind dabei viele Missverständnisse produziert und Qualitäten übersehen oder vernachlässigt worden, weshalb es sich sicherlich lohnt, den Blick noch einmal zurück auf den Urheber und seinen souveränen Umgang mit Materialien, Theorien und Inszenierungen zu lenken. Eine Reduktion auf das geniale Individuum als Person und auf einige Proben seines Werks bleibt aber hier dennoch eine halbe Sache und droht, sich auf einen rituellen Vorgang zu beschränken, der ihren Weg in die Versenkung musealer Isolation begleitet.

Newsletter

Michael Hauffen

derzeit noch nicht aktiv, bitte versuchen Sie es später wieder