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Das Ende der Avantgarde – Kunst als Dienstleistung


Nicht nur die Gesellschaft, auch die Kunst zeichnet sich heute durch einen hohen Grad von Unübersichtlichkeit aus. Neue sogenannte Stile überraschen oft die eingefleischtesten Beobachter und beunruhigen vor allem diejenigen, die sich mit ihrem ganzen Einsatz auf eine Richtung festgelegt haben. Der Kulturbetrieb als die eigentliche Avantgarde scheint aber immer schneller und reibungsloser in der Lage auch kritische Außenseiterpositionen zu verdauen und zu entschärfen, indem sie in die Form des chicken Faszinosums überführt werden. Trotz der provokativen Infragestellung im Titel und Untertitel bestätigt die Ausstellung der Sammlung Schürmann diese Regel durch ihren exklusiven Gestus. Umgekehrt geht die Expansion der Kunstproduktion heute mit einer Überdeterminierung des Dienstleistungsbereichs einher, insofern sich auch dort neben dem eigentlichen Produkt immer mehr quasi magische Übertragungen symbolischer Werte feststellen lassen. Mit welchen Hinweisen können uns postavantgardistische Künstler in dieser verwickelten Situation dienen?
Einem für Mittelschichtangehörige typischen, notwendig ambivalenten Verhältnis zum Überwachungsbedürfnis der Macht geht Julia Scher nach. Mark Dion analysiert Phantasmen von Privatheit als Keimzellen gentechnologischen Größenwahns, Hirsch Perlman Gesprächstechniken in Hinblick auf auch im Kulturbereich unerläßliche Informationsprofite. Für die Art des Zugangs zur Kunst spielt nach Rirkrit Tiravanija die Idee des musealen Kaffeegenusses eine wesentliche Rolle, nach Peter Zimmermann eine Anzahl von Texten, die man schon im Kopf hat. Dagegen sind in Sam Samores Arbeiten Hinweise auf die Unbestimmtheit des suchenden Begehrens versteckt, das Christopher Williams mit dem Raffinement seiner verschlungenen Bedeutungspfade in intellektuelle Tiefen zu verführen sucht. Renée Green sammelt das Material ihrer eigenen antirassistischen Politisierung, also Bücher, Videos und Musikaufnahmen, um ihren Standpunkt auch anderen schmackhaft zu machen. Thomas Locher klopft die Sprache selbst nach Bruchstellen bzw. dekonstruierenden Potentialen ab. Nicht nur Martin Kippenberger kramt hinter beschönigenden Programmen wie Verantwortung oder Arbeitsethos den ekligen Zynismus hervor um dann selbst darin zu schwelgen, auch die Exzentriker Franz West, Georg Herold und Meuser lehnen jegliche Ernsthaftigkeit in dieser Form als Zugeständnis an das Prinzip kultureller Indoktrinierung demonstrativ ab, während Jorge Pardo die Erwartung hoher Kunst durch alltägliche Möblierung der Ausstellungsräume freundlich enttäuscht. In ähnlicher Absicht stellt Regina Möller neben einem eigenen Magazin zu Themen wie Mode und Feminismus auch ein kitschiges Haustierdesignobjekt vor. Bei Cady Noland sind die Requisiten des amerikanischen Traums deutliche Zeichen einer Enttäuschung; der Traum ist vorbei, aber wohin mit der Wut? Dazu bietet Angela Bulloch sogar eine Installation zur Selbsterfahrung an: wieviel Zwang halte ich aus, bis auch ich "Nein!" sage, und wie laut? Die widersprüchlichen Strukturen, die ihn dazu zu treiben scheinen, nur noch laut zu schreien, zeichnet Raymond Pettibon bis zur Verzweiflung in analytischen Comix nach, während Stan Douglas ganz cool Fernsehfilme dreht, die in extrem kurzen alltäglichen Episoden das Unheimliche aufblitzen lassen. Schließlich versucht Lincoln Tobier die Aufmerksamkeit des Kunstpublikums zu verschieben, indem er den Imageberater einer Reihe amerikanischer Präsidenten als den eigentlichen Künstler unserer Zeit präsentiert und dessen durchtriebene Ästhetisierung von Ideologie dokumentiert.
Das Angebot ist schier immens, und wurde deshalb auch von Katharina Hegewisch gründlich kommentiert. Daß dabei die ursprüngliche Stoßrichtung, die etwa das politische Motiv eines Teils der KünstlerInnen einmal gehabt haben mag, als kunsthistorisch gewürdigtes Material museal isoliert und individualisiert wird, tut vor allem dort weh, wo nach dieser Beschneidung für die Situation hierzulande nichts Konkretes mehr übrig bleibt. Aber trotz dieser diskreten Bestätigung des status quo spricht die Rigorosität, mit der an anderen Stellen die Kojenmentalität durchbrochen oder die Beschönigung lebensbedrohlicher Kontexte sabotiert wird, ein Argument für diese Ausstellung. Der von der Künstlerin Pae White anstelle eines Exponats gestaltete Katalog wirkt wie ein weiteres Symptom von deren Inkohärenz: Außen ein konventioneller Bildband, nimmt er sich innen wie eine dezente Attacke gegen das Ideal distanzierter Neutralität aus. Die Form der Einzeldarstellungen wurde durchgängig variiert, und teilweise bis hin zur Unkenntlichkeit der Texte und Fotos mit Farbfeldern zugepflastert. Nicht nur Kunden, die über die Zeit, in der sie leben, betrogen werden wollen, werden von diesem Produkt irritiert sein.

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Michael Hauffen

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