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äquatortaufe


wer heute nach einem echten abenteuer sucht, wird seine hoffnung kaum mehr auf die seefahrt richten. sie ist heute ein hochmodernes verkehrssystem und produziert ereignisse allenfalls als unfälle. abgesehen von kriegsszenarien und boat-people-tragödien läuft hier die verschiffung von containern und touristenmassen weitgehend nach plan, also im rahmen kalkulierbarer wirtschaftlichkeit.

die wirklichen abenteuer müssen also heute woanders gesucht werden. vermutlich wird der größte teil der wünsche, die sich auf ein solches ziel richten, von der spektakelkultur aufgesogen. wem diese jedoch zu offensichtlich eine form von konditionierung und kontrolle darstellt, dem bieten sich neben exzessiven drogenpartys oder sportlichen grenzerfahrungen womöglich nur noch der politische widerstand oder die kunst an.

die kunst, um sich einmal auf sie zu konzentrieren, verfolgt das genannte ziel durch einen experimentellen umgang mit den formen von beobachtung, die uns die welt nicht nur wahrnehmen lassen, wie sie ist, sondern sie vielmehr immer schon mit konstruieren. anders gesagt, kommt mehr als man sich klar machen kann, auf den blickwinkel an, wie dann die welt erscheint, und die herausforderung der kunst liegt darin, die zur gewohnheit gewordenen schemata normaler beobachtung zu überlisten, und sie zu sprengen, zu verschieben oder überraschend umzukehren.

in der malerei findet sich etwa eine lange tradition des versuchs, die wahrnehmung nicht auf das zu konzentrieren, w a s im bild dargestellt ist, sondern w i e es dargestellt ist. In der modernistischen radikalisierung dieser tendenz wurden die darstellungsmittel womöglich sogar zum einzigen inhalt, wenn sie nicht als spur authentischer subjektivität aufgefasst wurden, die sich in gesten und farbkombinationen verbirgt. diese situation führte zu manchen paradoxien und verwicklungen, die aber nicht immer spannend bleiben müssen. im nachhinein erscheinen einige dieser ursprünglich experimentellen ausdrucksformen aber schon wieder banal. sie mutierten durch die art, wie sie inzwischen gewöhnlich beobachtet werden, durch veränderte kontexte und paratexte also, zu ästhetischen standardrepertoires, die sich als bestandteil des mainstreams etablieren konnten. der geist der utopie ist damit nur noch in der kunsthistorischen rekonstruktion zu erschließen, oder – und hierin liegt die chance für junge künstlerInnnen – er muss mittels einer erneuten perspektivischen wendung erst wieder hervorgebracht werden. dies gilt natürlich analog für andere traditionslinien, die sich im historischen prozess künstlerischer produktion herausgebildet haben.

vielleicht ist das zum gegebenen anlass auch die beste lesart der metapher von der äquatortaufe: nämlich dass der startpunkt jeder individuellen künstlerischen aktivität ein aufnehmen einer (oder mehrerer) vorhandener ästhetischer traditionslinie(n) ist. zunächst einmal muss ihre spur aufgenommen und sie bis zu der grenze verfolgt werden, wo sie selbst sich auf neues terrain begeben haben. das schwierige dabei ist aber, dass sich dieses wagnis und seine bedeutung eigentlich erst erschließt, wenn es individuell wiederholt wird, die spur also bereits verlassen wurde. war das experiment erfolgreich, dann ist zumindest für einen moment die vertraute welt in einen poetischen schwebezustand, einen drogenähnlichen taumel, einen absurden traum, ein schockierendes anderes oder was auch immer versetzt worden. wo genau die linie überschritten wurde, ist im nachhinein genauso schwer zu rekonstruieren, wie die individuelle erfahrung nicht wirklich zu kommunizieren ist. früher einmal hat man diese lücke im zwischenmenschlichen informationsfluss mit ritualen zu schließen versucht, heute gibt es dafür die kunst: sie bestärkt uns immer wieder in der annahme, dass auch andere nach solchen anomalien, solchen intensiven grenzerfahrungen, oder nach einem ungedachten gesucht haben, und dass sie dies nicht für sich behalten wollten. dieser äquator ist also schwer zu lokalisieren, aber wer ihn passiert hat, wird ihm einen namen geben wollen.

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Michael Hauffen

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