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Village People


Seit dem Kinoerfolg von „We feed the World” (2005) gewinnt die Auseinandersetzung mit Agrikultur und Landleben neue Aufmerksamkeit, die nicht von romantisierender Verklärung, sondern vom Interesse an Lebens- und Produktionsbedingungen geprägt ist. Auch in der Kunst geraten unsere biologischen Lebensgrundlagen an dieser Stelle zunehmend in den Fokus. Die Kuratorin Anne Kersten greift mit der darauf Bezug nehmenden Ausstellung „Village People” nun schon zum dritten Mal ein Thema auf, das der aktuellen Flut von Urbanismus-Debatten in Form eines anregenden Perspektivwechsels begegnet.
Trotz des globalen und massiven Trends zur Industrialisierung der Landwirtschaft und ihrer zunehmenden Unterwerfung unter Profitgesichtspunkte dominiert mancherorts noch eine bäuerliche Kultur, die sich im Gegensatz zur Stadtkultur definiert. Eines der wichtigsten Unterscheidungskriterien scheint dabei das von Arbeit und Müßiggang zu sein. Das Projekt „Ein Dorf tut nichts” von Elisabeth Schimana und Markus Seidl macht deutlich, dass zumindest in einigen Gegenden Oberösterreichs Menschen, die nicht permanent arbeiten, im sozialen Raum als nicht-existent gelten. Wenn sich trotzdem ein kleines Dorf überreden ließ, eine Woche lang nichts zu tun, und dabei ganz ungewohnte Möglichkeiten kollektiven Vergnügens ausprobierte, dann war dies auch ein Schritt aus der Verhärtung einer Identität, die sich gegen die Drohungen einer in den Städten konzentrierten Übermacht zu schützen versucht. Die harte Arbeit dient als Legitimationsgrundlage. Im Gegenzug taucht aber die Frage auf, ob Arbeit heute nicht als Privileg betrachtet werden müsste, das vielleicht am besten genutzt würde, indem man es gleichmäßig verteilte.
Die Argentinierin Letitia El Halli Obeid entstammt einer Familie, die in Folge der Globalisierung ein Unternehmen, das Erntemaschinen produziert hat, aufgeben und verkaufen musste. Die Maschinen entstanden parallel zur Entwicklung der gigantischen Monokulturen in Argentinien und konnten den seit den 50er Jahren wachsenden Markt solange bedienen, wie der staatliche Schutz nationaler Betriebe funktionierte. Im Zuge der globalen Durchsetzung neoliberaler Politik eroberten internationale Multis auch diesen Markt, die argentinische Firma konnte ihre Kredite nicht mehr bedienen und musste verkauft werden. Obeids Video, das ohne Kommentar historische und neue Aufnahmen von „ARAUS”-Landmaschinen bei der Arbeit zeigt, hält sozusagen die Schwebe zwischen Nostalgie und Panik, und dient als offene Projektionsfläche für das Nachdenken über Landwirtschaft in Zeiten der Globalisierung. Ergänzend zu dem Wissen, das wir ohnehin von diesen Zusammenhängen haben, liefert Obeid ein kleines Heft mit Informationen zur Geschichte des Familienbetriebs. Letztlich scheiterte das Projekt, obwohl ein großes Potential von Wissen und Können im Spiel war. Die Überlegung, dass dabei eine Entwicklung mit vorangetrieben wurde, die sich schließlich gegen ihre Akteure wendete, ist nicht von der Hand zu weisen. Jetzt ergibt sich die Gelegenheit, gründlicher nachzudenken und größere Zusammenhänge und deren Logik zu hinterfragen.
Im Kleinen beginnt womöglich schon ein Prozess des Umdenkens, zumindest insofern konkretere Fragen gestellt werden. Antje Schiffers recherchiert das Leben der Landbevölkerung, indem sie ein Geschäft anbietet: sie portraitiert Bauernhöfe in Öl und tauscht sie gegen Aufnahmen, die die Bewohner mit der Videokamera von ihrem Alltag machen sollen. Schiffers Partner Thomas Sprenger arbeitet die entstandenen Aufnahmen dann zu eigenständigen Filmen um. In der Ausstellung ist das Beispiel eines holländischen Hofs präsentiert, der die Ideale von Ordnung und Fleiß ausstrahlt. Der Arbeitsethos scheint hierbei vor allem eine souveräne Position des Menschen gegenüber der Natur zu garantieren. Die Gefahr liegt darin, dass das blind macht für Abhängigkeiten von Prozessen in der Umwelt, die sich nicht beherrschen lassen. Dafür hatte die Romantik zumindest ein Gespür, das dem Ölbild noch eingeschrieben ist, während das Video die Lage der Dinge nur konzentriert abklopft.
Die härtere Realität der Besitzverhältnisse führt Tue Greenfort drastisch vor Augen, wenn er Bauernhöfe vorstellt, die in Osteuropa liegen und zum Verkauf stehen. Man erhofft sich dort von westlichem Kapital neue Impulse. Die Angebote lassen sich im Internet recherchieren und zeigen alles, worauf es ankommt: Nutzbauten, Maschinen, bebaubare Flächen, Preis. Landwirtschaft als Unternehmen kommt ohne allen kulturellen Charme aus: die zukünftigen Besitzer könnten auch im Hotel der nächsten Stadt wohnen. Im Agrarsektor findet genau wie anderswo ein Verdrängungswettbewerb statt, der nicht nur den Anteil der Landbevölkerung reduziert, sondern auch eine zunehmende Monopolisierung der Anbaubetriebe in globalem Maßstab herbeiführt, wobei sich der Besitz an Grundeigentum immer mehr in die reichsten Regionen verlagert.
Casey McKee malt Szenen, die diese Entwicklungen fast plakativ umsetzen: In der Umgebung alter Bauernhöfe erscheint eine Gruppe von Managern, die sich demonstrativ handwerklich betätigen oder in einem Pferdefuhrwerk herumfahren lassen. Der Bruch zwischen Stadt und Land, Archaik und Moderne oder Reich und Arm wiederholt sich in den Bildern, indem die Manager schwarz-weiß gedruckt, die Umgebung aber nachträglich dazugemalt ist. Sicherlich leben auf diese Weise keine Verheißungen eines authentischen Landlebens auf, aber auch die Manager sind trotz ihres selbstbewussten Agierens als digitale Schatten gekennzeichnet. Es fällt also hier ebenfalls keine Entscheidung zugunsten des Alten oder des Neuen.
Die doppelte Zurückweisung idyllischer Visionen und utopischer Entwürfe ist allen vorgestellten Positionen gemeinsam. Auch dem Denken in Alternativen wie Fair-Trade-Projekten oder ökologischem Landbau wird angesichts der erkennbaren Übermacht globaler Kapitalinteressen eher skeptisch begegnet. Vor allem aber wird der von Werbung und Medien gepflegten Land- und Naturverklärung mit realistischer Dokumentation von Entwicklungen widersprochen. Ein für allemal vorbei sind die Zeiten, als man im Landleben noch eine Form sozialen Zusammenlebens sehen konnte, die als Vorbild für eine bessere Gesellschaft dient. Utopien müssen heute auf einem anderen Boden wachsen.

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Michael Hauffen

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