Victoria and Albert Museum, London26.09.2008 - 11.12.2008
erschienen 2008 in KUNSTFORUM
Die Mythen der Moderne sind seit einiger Zeit einer regelrechten Flut von Analysen und Dekonstruktionen ausgesetzt. Bevor wir sie endgültig abhaken können, dürften aber noch einige Ausstellungszyklen vergehen, vor allem, weil wir selbst viel zu sehr von ihnen geprägt sind, und ein alternatives Paradigma von ähnlicher Attraktivität offenbar fehlt. Die Ausstellung „Cold War Modern” richtet den Fokus auf die Entwicklung des Designs, dessen Bedeutung in dem Maße zugenommen hat, wie Kriegstechnologien in die Konsum- und Privatsphäre gelangten, und dort eine ästhetische Erscheinungsform benötigten, die ihnen ihren Schrecken durch das Versprechen einer besseren Zukunft nahm. Bei der Gegenüberstellung von Produkten aus Ost und West wird deutlich, dass in diesem Prozess der Neuordnung der Welt mit gestalterischen Mitteln zwar auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs verschiedene Vorzeichen zu verschiedenen Ausprägungen führten, dass sie aber auch in wesentlichen Grundzügen das gleiche Ziel anstrebten, nämlich die breite Masse der Menschen an kontrollierbaren Parametern auszurichten.Die historische Reihenfolge setzt bei der Zeit der Nachwirkungen des Krieges an, wo große Wiederaufbauprojekte, besonders in Berlin, eine direkte Konkurrenzsituation erzeugten. Der Architektur der Stalinallee, die eine rasche Bereitstellung einer Vielzahl von Wohnungen mit einladender Ästhetik verband, antwortete umgehend der Modernismus der „Interbau” (1956) mit seinen namhaften Architekten. Auch Fahrzeuge, Möbel und Kleingeräte erhielten ein neues Gesicht, da man im Krieg entwickelte Materialien und Kenntnisse auf sie anwandte. Die Kunst war ebenfalls von Beginn an in den Kalten Krieg involviert, wie einige Plakatentwürfe, Gemälde, Entwürfe für Monumente und Filmbeiträge für die ersten großen Massenausstellungen zeigen, beispielsweise die Expo Brüssel 1958: Dort präsentierte Le Corbusier einen Film für den Philips-Pavillion, der die Ideale einer rational organisierten Gesellschaft als transzendentale Werte inszenierte. Aber auch kritische Positionen können registriert werden, woran hier Collagen von Richard Hamilton oder Wolf Vostell erinnern, die das verdrängte Martialische wieder pointiert und bissig zum Vorschein bringen. Während er auf dem Sektor der Wohnungsbeschaffung führend war, scheint der Ostblock auf die zivile Produktion von Haushaltsgeräten und Möbeldesign eher gezwungenermaßen reagiert zu haben. Die berühmte kitchen-debate zwischen Chrustschow und Nixon wurde durch eine Ausstellung ausgelöst, in der die USA ihre Lebensweise in den schönsten Farben darstellten (an prominenter Stelle mit einer 7-Kanal-Diashow der Brüder Eames), und dazu eine komplette Küche zeigten. Auf diese Herausforderung antwortete eine Reihe von ansprechenden Ost-Designobjekten, die aber nur selten zur Serienproduktion gelangten. Kritische Kunstpositionen wurden ebenfalls bald unterdrückt, wie auch mit dem Ende der Tauwetter-Phase der Sozialistische Realismus zum alleingültigen Maßstab werden sollte – mit Ausnahme allerdings von Jugoslawien, das seiner eigenen Version der Moderne treu blieb. Die Phase der Atomkriegsdrohung zeichnet sich durch Entwürfe von Schutzräumen, Angstszenarien und Spionagefilmen aus. Der Filmdesigner Kenneth Adams stattete etwa Kubricks „Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben” aus und prägte maßgeblich die Vorstellungen von der Herrschaft, die eine Atommacht ausübt. Spätestens hier beginnt sich auch die Heim-Technologie in den Vordergrund zu schieben, was Radiogeräte der Firma Braun, Fernsehgeräte im Fetisch-Design oder die ersten Computer deutlich in Erinnerung rufen. Telekommunikation wurde zum zentralen Medium der Macht, und davon zeugten Funktürme in allen großen Städten, deren rein technischer Charakter als Sendemast durchweg ergänzt wurde durch Aussichtsplattformen für das breite Publikum mit Drehrestaurant und raumschiffartigen Lobbys. Natürlich gehören hierher auch die Leistungen der Raumfahrt, vom Sputnik bis zur Raumstation, die nicht nur in den utopischen Entwürfen von Architekten wie Archigram oder Buckminster Fuller aufgegriffen wurden. Auch die Mode schien sich an Raumanzügen zu orientieren, während die West-Kunst den neuen Dimensionen mit einer Kombination aus dramatischer Übertreibung, Amusement und der Suche nach Fluchtwegen begegnete. Die Gruppe AntFarm griff neue Technologien etwa emphatisch mit der Intention auf, sie ad absurdum zu führen. Walter Pichlers „Portable Living Room” dürfte eher als Abschreckungsversuch zu verstehen sein, da er die völlige Isolation des Einzelnen vorwegnimmt, die in einem Cyberspace der perfekten Illusionen Realität zu werden verspricht. Kulturell erfährt diese schöne neue Welt eine massive Unterbrechung durch die Aufstände des Mai ‘68 und durch die Kritik am Kapitalismus, die den westlichen Führungsanspruch in Frage stellt. Auch ihnen ist ein Raum in der Ausstellung gewidmet, wo etwa Filmausschnitte von Jean-Luc Godard die Stimmung in Paris wiedergeben. Die zeitgleichen Aufstände in Prag werden gewaltsam niedergeschlagen, so dass von dieser Seite nur noch vorsichtige Kritik in die Öffentlichkeit gelangt. Die Revolution in Kuba wird dagegen von russischer Seite mit der Hoffnung verknüpft, eine Welle des Sozialismus auch im Westen auszulösen. Der Künstler Erró sieht maoistische Revolutionäre schon an der Schwelle des amerikanischen Traums, in der Küche eines Einfamilienhauses stehen, und die 14. Design-Triennale in Mailand wird besetzt. Für die Entwicklung des Designs hatte das aber keine wirklich nachhaltigen Wirkungen. Utopische Szenarien hatten weiterhin Konjunktur und wurden auch von den Alternativ-Kulturen mehr oder weniger perfekt imitiert, was Fullers Dome-Strukturen in Eigenbauweise aus Holzabfällen ebenso illustrieren wie einige Hippie-Visionen vom technisch ermöglichten Paradies. Aber an diesem Punkt regen sich auch die ersten Sorgen um die natürliche Umwelt, womit eine wesentliche, und bis dahin für selbstverständlich gehaltene Grundlage des technischen Fortschritts erstmals kritisch wahrgenommen wird. Wie man aus all dem erkennen kann, ist ohne dialektische Sprünge und politische Hintergründe das Verständnis der Konkurrenz zwischen den beiden rivalisierenden Supermächten und der Formen, die sie auf ästhetischem Gebiet angenommen hat, kaum möglich. Die Ausstellung in London, von deren Exponaten hier nur einige wenige herausgegriffen werden konnten, ist aber umfangreich und komplex genug, um ihrer logischen Herausforderung gerecht zu werden. Sie beschränkt sich nicht auf faszinierende Designobjekte oder Kunstwerke, sondern stellt in Form von Settings jeweils Gruppen von Objekten, Filmen, Bildern und Texten zusammen, die es erlauben, weitere Erfahrungen oder Kenntnisse zu assoziieren und Bekanntes in einem neuen Licht zu sehen. Der Katalog geht an vielen Stellen noch weiter in die Tiefe. Nachdem diese historische Phase inzwischen ohne Super-GAU überstanden ist, könnte man sich sogar über die schönen Dinge und Visionen freuen, die sie hervorgebracht hat. Aber wer kann sich schon sicher sein, dass der Schrecken, auf den sie geantwortet haben, nicht immer noch in ihnen steckt, und ihre anhaltende Faszinationskraft nur ein Zeichen für immer noch mangelnde Distanz ist. Die produktive Skepsis einer Reihe von Gegenströmungen der Kunst in Ost und West könnte hierzu bestimmt beitragen. Abgesehen von der Episode 1968 sind sie in der Ausstellung nicht repräsentiert, aber das hätte auch den Rahmen dieses Projekts gesprengt. Katalog: Cold War Modern, Design 1945-1970. Edited by David Crowley and Jane Pavitt. ca. 300 Seiten. 63,99 Euro.
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