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Hartmut Bitomsky


Das Medium des Dokumentarfilms hat in den letzten Jahren einen beträchtlichen Aufschwung erfahren. Filme wie „We feed the World” von Erwin Wagenhofer oder „Bowling for Columbine” von Michael Moore, um nur zwei herausragende Beispiele zu nennen, konnten sogar im regulären Kinoprogramm reüssieren. Daneben stoßen auch einschlägige Filmfestivals auf zunehmendes Interesse und, abgesehen vom breiten Markt der Fernsehsender, die seit jeher Dokumentarsendungen verschiedenster Couleur im Programm haben, hat sich – spätestens seit Catherine Davids documenta10 – das Genre des Dokumentarfilms im Bereich der bildenden Kunst einen festen Platz erobern können. Dabei waren es nicht selten Künstler, die sich wie etwa Derek Jarman oder Marcel Odenbach von der zunächst experimentellen Auseinandersetzung mit den neuen Medien Super8 beziehungsweise Video von verschiedenen Seiten ans dokumentarische Werk heran arbeiteten.
Namen wie Harun Farocki oder Peter Greenaway stehen andererseits für den Transfer ursprünglich konventionell auf Fernsehen oder Kino ausgerichteter Filmproduktionen in den inzwischen veränderten Kunstkontext, wobei dann allerdings auch die spezifischen Präsentationsmöglichkeiten musealer Umgebungen, wie Mehrfach-Screens und die Präsentation zusätzlicher Bild- und Archivmaterialien bis hin zu Rauminstallationen aufgegriffen wurden.
Mit Hartmut Bitomsky präsentiert nun der Neue Berliner Kunstverein einen typischen Vertreter jener letzteren Gattung, einen genuinen Dokumentarfilmer, dessen Filme im Nachkriegsdeutschland die Bedeutung von Meilensteinen haben dürften, auch wenn sie leider viel zu selten, sowohl im Kino als auch im Fernsehen gezeigt werden. In seiner „Deutschlandtrilogie” (1983-1988) entwickelte er seine Methode der Kombination von Ausschnitten aus historischem Filmmaterial und eigenen Aufnahmen, die nicht zuletzt durch den von ihm selbst gesprochenen Off-Kommentar in ein multiperspektivisches und kritisches Verhältnis gerückt werden. Während er sich gegenüber dem Material zunächst äußerst nüchtern verhält – auch in den von ihm selbst geführten Interviews vermeidet er eher kritische Anmerkungen – gelingt ihm durch das Arrangement in den resultierenden Filmen die Darstellung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten, was dem Raffinement subtiler politischer Suggestion, die einen Wesenszug des filmischen Spektakels von der NS-Propaganda bis heute ausmacht, seine Grundlage vermeintlicher Faktizität entzieht und sie als mehr oder weniger grandioses Täuschungsmanöver dechiffriert.
Die Ausstellung gliedert sich in drei Teile, die alle aus Material bestehen, das den Aufnahmen zu den beiden letzten großen Filmen Bitomskys, nämlich „B-52” (2001) und „Staub” (2006) entnommen ist. Ein Teil dieser Aufnahmen fand in den Filmen selbst keine Verwendung und wird deshalb hier erstmalig gezeigt. So können auf drei Bildschirmen Interviews in voller Länge angesehen werden, die in den Filmen nur verkürzt oder gar nicht vorkommen. Drei weitere Bildschirme zeigen digitales Filmmaterial, das parallel zu den 35-mm-Aufnahmen erstellt wurde, aus denen sich der eigentliche Film zusammensetzt. Dabei erscheint auch gelegentlich das Aufnahmeteam im Bild, und erlaubt gewissermaßen einen Blick hinter die Kulissen der filmischen Arbeit. Schließlich werden drittens im abgedunkelten Bereich drei Videoprojektionen gezeigt. Bitomsky nennt diese Präsentation von Ausschnitten und Resten „Shakkei”, mit dem japanischen Begriff für die Zusammenstellung von natürlichen und künstlichen Dingen, die in der Betrachtung zu einer natürlichen Landschaft verschmelzen.
Bei den Bildern von der Verschrottung ausgemusterter Bomber könnte man das so verstehen, dass es die Rückführung ehemaliger High-Tech-Kriegsmaschinen in elementare Rohstoffe ist, die eine Art natürliche Ordnung wiederherzustellen verspricht. Allerdings wäre es für Bitomsky untypisch, einer Sache gegenüber einen einfachen Standpunkt zu konstruieren, mit dem man sich bequem identifizieren kann. Der strahlengetriebene Bomber B-52 mag für sich allein genommen ein technologisches Produkt mit ausschließlich destruktiver Funktion sein, aber seine Historie ist zu tief mit unser aller Realität verwoben, als dass wir uns auf einfache Weise von ihm distanzieren könnten. Die Leistung Bitomskys liegt darin, die Widersprüche herauszustellen, die hierbei im Spiel sind, etwa wenn er darauf verweist, dass ohne die enormen ökonomischen Ressourcen, die in seine Entwicklung und Fertigung geflossen sind, unsere heutige zivile Luftfahrt undenkbar wäre. Insbesondere geht es um die mythische Dimension der Entwicklungen, von denen die B-52 nur das auffälligste Phänomen bildet, und das heißt, es geht um die schuldhaften Verstrickungen und die mehr oder weniger fiktiven Begründungen, Erklärungen und Verzierungen, die ihrer Verdrängung aus dem Bewusstsein dienen sollen. Aufnahmen aus militärischen Filmarchiven zeigen, wie während eines Interviews zum Thema ständig ein Zensurbeauftragter mitwirkte und das Gespräch korrigierte. Erstaunlicher ist aber vielleicht die routinierte Normalität, mit der Angehörige der US-Luftwaffe ihren Dienst versehen und über die verschiedenen Möglichkeiten der Bewaffnung, der Vernichtung und ihre Einsätze, bis hin zu Abstürzen und Katastrophen Auskunft geben. Dagegen stehen Bilder aus Vietnam, wo der vom Atomwaffenträger zum tieffliegenden Transporter konventioneller Waffen umkonstruierte Bomber für den Einsatz unzähliger Flächenbombardements genutzt wurde. Im Interview spricht Bitomsky mit einem vietnamesischen General, der schließlich nach dem erfolgreichen Abschuss eines Bombers die Friedensverhandlungen mit geführt hatte. Die ruinenhaften Reste der abgestürzten Maschinen mitten in der Stadt erscheinen wie transzendente Zeichen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines Augenzeugen, der eines der Flächenbombardements bei Hanoi beschreibt.
„Staub” bietet demgegenüber einen eher spielerischen Zugang zu einem Thema, das umso merkwürdiger erscheint, je mehr man sich ihm zuwendet. Auch hier geht es um große Gefahren für Leib und Leben, wenn von Feinstaub, Asbest oder Vernichtung von Lebensräumen durch Sandstürme die Rede ist. Andererseits sind selbst die Wolken am Himmel genauso wenig ohne Staub möglich wie künstliche Farben und ihre Pigmente. Es geht hierbei gewissermaßen um eine Bedingung unserer Existenz, die uns aber meistens nur lästig fällt. Und während ihn die Einen manisch zu beseitigen versuchen, wirbeln Andere in teilweise skrupelloser Weise immer noch mehr davon auf. Eine Klassifikation dieser störenden Materie scheitert auch hier an der Unmöglichkeit zu ihr in wirkliche Distanz zu treten. Und so endet konsequenterweise der Film und eine der in der Ausstellung gezeigten Projektionen mit der Beobachtung zweier Arbeiter, wie sie einen zu Forschungszwecken genutzten Reinraum von den letzten Staubpartikeln zu befreien suchen, die vor allem durch ihre eigene Präsenz immer wieder neu anzufallen drohen. Und die Szene wird als negativer Höhepunkt der Evidenz einer unsere Existenz charakterisierenden Unmöglichkeit dadurch markiert, dass anstelle eines Kommentars nur noch der letzte Chor der Matthäus-Passion erklingt.
Was also selbst im reinen Dokumentarfilmformat, wie auch in einem diesen nacherzählenden Text, wo die Szenen und Perspektiven linear aufeinanderfolgen, Widersprüche und Paradoxien aufwirft, kann in der Ausstellung als komplexe Konstellation von verschiedenen je für sich schon starken Eindrücken die Besucher der Ausstellung um so mehr zum Nachdenken anregen, als es hier zuerst einmal darum geht, sich in einer Situation zurechtzufinden, die fernsehkonditionierte Beobachtungsgewohnheiten überfordert. Die Möglichkeit, sich zwischen den verschiedenen Bildschirmen und Projektionsflächen frei zu bewegen, ist da vielleicht die einzige Chance, die bleibt, um den Kopf in eine Bewegung zu bringen, die dem allen gewachsen bleibt.

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Michael Hauffen

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