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Untitled (ohne Titel)


Die Weigerung Kunstwerken Namen und Titel zu geben, ist zwar irgendwann zu einer Art Norm geworden, ihr ursprünglicher Impuls beinhaltete aber eine Auseinandersetzung über den Status der Autonomie, den ein Kunstwerk behaupten kann, und über mögliche Strategien der Abwehr seiner Instrumentalisierung. Die Ausstellung mit dem Titel „Untitled (ohne Titel)” unternimmt den Versuch, diesen Ursprung freizulegen, indem sie aktuellere Positionen vorstellt, die gegenüber den etablierten Methoden, Kunstwerke auf gängige Waren zu reduzieren, mehr oder weniger niveauvoll Widerstand leisten.
Was damit gemeint sein könnte, findet seinen klarsten Ausdruck vielleicht bei Trisha Donnelly. Sie nimmt den Gestus der 60er Jahre mit nur minimalen Verschiebungen wieder auf. Zwei Holzobjekte, die wie Schwingtüren auf Metallstangen befestigt sind, weisen in Brusthöhe merkwürdige Kratzspuren auf – nur um ein Weniges ausgeprägter, als es bloße Abnutzung bewirkt haben könnte. Es sind also Zeichen – aber es fehlen klärende Hinweise darauf, was sie bedeuten. Der Titel der Arbeit, „Untitled”, fügt diesem Sachverhalt nichts hinzu und lässt den Betrachter mit seinen Fragen allein zurück. Das im Kontext des Minimalismus regelmäßig erklärte Ziel, die primäre Erfahrung sinnlicher und bildlicher Qualitäten von irreführenden Interpretationen frei zu halten und damit eine unvoreingenommene Wahrnehmung und Bewertung zu ermöglichen, wird von Donnelly also wiederholt, aber zudem mit einer subtilen Nuance von Unheimlichkeit versehen.
Genau umgekehrt funktioniert das Verhältnis von Geheimnis und Botschaft in der Werbung: was angedeutet wird, scheint auf immer schon Begehrtes zu verweisen. Und so reagiert man auch auf Peter Friedls Neon-Schriftzug: „20 Years of Resistance”, als ob es sich um einen Slogan handelte, der einen Wunsch erfüllt – bis man feststellt, dass hier zwar das Gewünschte behauptet wird, aber gänzlich unklar bleibt, welche Realität damit gemeint sein könnte. Der Wunsch trifft auf eine reine Leerstelle versprochener Erfüllung.
Ganz explizit leer bleibt die Stelle, an der normalerweise der Name des Autors steht, in der Arbeit der Gruppe Famed: Konstruiert wird der Fall eines Künstlers, der zwar zu einer Ausstellung eingeladen wurde, dessen Arbeit aber nur darin besteht, alle Hinweise auf seine Person auszulöschen – was ex negativo deutlich macht, wie sehr Interpretation und Mythos von Werken auch durch sogenannte Paratexte, also biografische Daten, Anekdoten und andere beiläufige Informationen bestimmt sind.
Ein blinder Fleck der musealen Institutionen sind ihre Zugangsbedingungen, die im Dunkeln bleiben, und scheinbar jedes x-beliebige Etwas durch die Ausstellungsmacht zum Kultgegenstand zu transformieren vermögen. Das reizt Künstler regelmäßig zu Tabubrüchen, auch wenn es die Logik des Systems letztlich wieder bestätigt. Der früh verstorbene Ull Hohn spielte da mit der Grenzziehung zwischen Kitsch und Kunst, indem er Bilder ausstellte, die exakt nach den Anweisungen der legendären Fernsehmalkurse von Bob Ross gemalt worden waren. Was gehört in den White Cube und was gehört nicht hinein? Noch subtiler ging Hohn dieser Frage nach, indem er sein eigenes, per definitionem noch unprofessionelles Jugendwerk als inzwischen anerkannter Künstler kopierte, und dabei nur das Format veränderte. Die Ausstellung zeigt Original und Kopie nebeneinander, und konfrontiert die Betrachter mit der Tatsache, dass der entscheidende Unterschied in den Gemälden selbst nicht sichtbar wird.
Zum Frontalangriff ging Andrea Fraser über, als sie auf dem Kunstmarkt anstelle eines Objektes eine Liebesnacht mit ihr selbst feilbot. Dass sich KünstlerInnen vorgegebenen Machtstrukturen unterwerfen, wenn sie ins Geschäft kommen wollen, wird normalerweise verkannt oder zumindest verschleiert und beschönigt, hier dagegen sollte die erzwungene Prostitution offensiv gewendet werden.
Nach solch ultimativer Zurückweisung des Versprechens von freier Selbstentfaltung im Feld der Kunst nehmen sich die übrigen Arbeiten nahezu harmlos aus. Karin Sanders auf Hochglanz polierte weiße Wand ebenso wie Kirsten Pieroths Recherche zur Häufigkeit der Kennzeichnung von Kunstwerken mit dem Label „ohne Titel” beschwören eine Epoche herauf, in der es zum obligatorischen Standard geworden war, sich in geheimnisvolles Schweigen und reinen Formalismus zu hüllen.
Auch Friedericke Feldmanns Wandarbeit – die Darstellung einer ursprünglich grauen Wand, die mit einem riesigen Pinsel weiß übermalt wurde, als Fake, nämlich als umgekehrte Abbildung der Reste sichtbaren grauen Hintergrunds mit feinem Pinsel auf der weißen Museumswand – greift modernistische Methoden wie Kippbilder, Vordergrund-/Hintergrund-Spiele oder Roy Lichtensteins plakative Pinselschwung-Fakes auf, um sie im Medium der Wandmalerei zu wiederholen und bleibt damit im Rahmen einer institutionell behüteten Selbstreferenz. Daran rüttelt auch ihre zweite Arbeit nicht wirklich: ein großes Transparent, das außen am Gebäude angebracht wurde, und einen Nonsense-Text in propagandistischem Format präsentiert. Wer es nicht als Werbung wahrnimmt bzw. als solche ignoriert, wird es eben für Kunst halten, und damit alle Fragen als gelöst betrachten.
Louise Lawlers Dokumentation der Bedeutung von privaten Kontexten für die individuelle Interpretation und Aneignung aus dem musealen Kontext bekannter Werke kratzt auch nur vergleichsweise vorsichtig an dieser Fassade der quasi transzendental befrachteten Bedeutungsleere. Und Kirsten Pieroths zweite Arbeit, der Transfer eines Hinweisschildes mit Daten zur Mona Lisa aus dem Louvre in die Ausstellung und seine Erhebung zum selbständigen Exponat, die den archivarischen Apparat in seiner Bedeutung für die Rezeption der Kunstwerke betont, geht hier nicht sehr viel weiter.
Schließlich bleiben noch die Arbeiten von Karl Holmqvist: sie zersetzen deklaratives und plakatives Material systematisch auf der Elementebene. Große Textblöcke und Grafiken werden in Streifen zerschnitten und lassen die Buchstaben und Wörter (in der Tradition lettristischer Experimente) zum Rohmaterial werden, das sich in derart zufällig entstehenden Nachbarschaften zu unvorhersehbaren neuen Sinneinheiten verbinden soll. Ob es das auch tut, bleibt offen, aber der Gestus aggressiver Willkür im Umgang mit einer identifizierbaren Botschaft wird manifest und durchbricht die drohende Erstarrung in akademischen Reflexionen mit frivoler Heiterkeit.
Womöglich war ja der erste Impuls bei der Verweigerung der Betitelung von Kunstwerken nach dem Zweiten Weltkrieg auch der erste Versuch von Künstlern, den ihnen vorgegebenen Bedeutungskontext zu hinterfragen, der mit unsichtbarer Hand weitgehend bestimmt, was und zu wessen Vorteil im Medium der Kunst kommuniziert werden kann. Die dabei geäußerten Ansprüche auf eine eigene Definitionshoheit müssen allerdings aus heutiger Sicht als naiv eingestuft werden. Insofern sind spätere Generationen nach und nach mit mehr Sinn für den Stellenwert von Kontexten und Konditionierungen an diese Phänomene herangegangen und haben den Spielraum Auseinandersetzung mit Mechanismen und Restriktionen, die das Feld der Kunst regulieren, schrittweise vertieft. Ob sich daraus aber auch schon eine entscheidende Veränderung des Feldes selbst und seiner Logik ableiten lässt, kann wohl bezweifelt werden. Aber vielleicht hatte ja auch niemand diese Absicht – die Titel der Werke halten jedenfalls alle Optionen offen.

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Michael Hauffen

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