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Raumschiff Jugoslawien – Die Aufhebung der Zeit


Ein junges Kuratorenteam begibt sich seit einiger Zeit auf Spurensuche zur Geschichte Jugoslawiens. Eines der primären Anliegen ist der Versuch, das heute mit Ex-Jugoslawien verbundene Bild von einer durch Bürger- und Nationalkriege nachhaltig angeschlagenen Region durch einen historisch erweiterten Blick zu relativieren, und vor Ort zu überprüfen, inwiefern noch oder wieder Bezugnahmen auf eine gesamt-jugoslawische Identität vorhanden sind. Das scheint vor allem angesichts aktueller Neuauflagen des Mythos einer „Balkan-Region” von Bedeutung, der sich von jeher mit Projektionen „wilder” kultureller Eigenarten verband – nicht zuletzt auch im Kunstbereich.
Wie solche Zuschreibungen produziert werden, führt eine Videoarbeit von Phil Collins plastisch vor Augen, die 1999 ein Reportageteam bei Aufnahmen im Kosovo einer Beobachtung zweiter Ordnung unterzog. Da werden schon mal Aussagen dramatisiert und Regieanweisungen gegeben, wenn die Interviewpartner die Erwartungen des konsumverwöhnten Medienpublikums nicht erfüllen. Collins selbst zieht sich dabei nicht auf eine vermeintlich neutrale Position zurück, sondern gibt seinerseits durch eine zunehmend unruhige Kameraführung seiner Erregung Ausdruck.
Mit Peter Mlakar wird ein Performance-Künstler gewürdigt, der drei bedeutende Auftritte im Rahmen von Konzerten der Gruppe „Laibach” absolviert. Dies war vermutlich die einzige slowenische Band, die noch in den 80er Jahren in Belgrad auftreten konnte, wo die wirtschaftliche Krise bereits zu negativen Beziehungen zwischen Serbien und den anderen Teilrepubliken geführt hatte. Nach der Vorführung eines deutschen Propagandafilms, der die Bombardierung Belgrads zu Beginn des Zweiten Weltkrieges verteidigte, betrat Mlakar in einer Jagduniform die Bühne und hielt eine pseudo-nationalistische Rede, die äußerst zweischneidig darauf angelegt war, den Spott der anwesenden Studenten zu provozieren. Einen ähnlich ironisierenden Umgang, verbunden mit Angriffen auf Kirche und Religion, pflegte er in einer Rede, die er 1997 in Ljubljana von prominentem Publikum hielt. Dazu kam noch der lautstarke Industrial-Sound und die Poster der Gruppe Laibach in Nazi-Uniformen, was insgesamt heftige öffentliche Reaktonen auslöste.
Abgesehen von diesen beiden eher schon historischen Positionen versammelt die Ausstellung vor allem Arbeiten von jüngeren und weniger bekannten KünstlerInnen. Nina Höchtl etwa befasst sich in ihrer Videoarbeit von 2009 mit einem (ausnahmsweise erfolgreichen) Kampf um Mitbestimmung, der erst 2001 begann, aber auf Erfahrungen mit selbstverwalteten Betrieben gestützt war, wie sie im kommunistischen Jugoslawien noch selbstverständlich waren. Marijan Crtalićs langfristige Recherchen zum Stahlwerkkomplex SISAK sind ebenfalls von einem Interesse an einstigen Errungenschaften sozialistischer Arbeiter geprägt, die er in manipulierten Fotodokumenten der Vergessenheit zu entreißen versucht.
Ein fotografisches Archiv der mehr als 20.000 Denkmäler, die in Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die jugoslawische Revolution gebaut wurden, strebt Marko Krojač (Marc Schneider) an. Nicht nur ästhetisch repräsentieren sie den Sonderfall einer erfolgreichen sozialistischen Bewegung, die sich ohne fremde Hilfe gegen die Nazis zur Wehr gesetzt hatte und sich daher auch unabhängig vom übrigen Ostblock entwickeln konnte. Wie die Gruppe Klopka za pionira in ihren angeblich unhörbar chaotischen Stücken singt, vermochte dies beispielsweise noch 1983 die Mutter des Regisseurs Lars von Trier zu begeisterten Reiseberichten („es gibt das Paradies auf Erden”) hinzureissen.
Zum Balkan Boy stilisiert sich der in Lyon lebende Damir Radović, der seine Arbeiten dem Versuch widmet, mit dem Ballast der Vergangenheit fertig zu werden. Als westliche Staatsbürger genießen viele Nachfahren von Jugoslawen die Freiheiten erfolgreicher Demokratien, leiden aber an einer brüchigen Identität. Von der Last des Territoriums befreit, unternimmt daher Radović den Versuch nomadisierend kulturelle und ideologische Bruchstücke dieses Erbes zu durchstreifen und dabei auf der Sperrigkeit ihrer Existenz, sowie auf den Verwicklungen in die gesamte europäische Geschichte zu bestehen. Auch seine Parole „No more Yugoslavs” als Banner im öffentlichen Raum platziert, ruft ungelöste, und zu Unrecht verdrängte Fragen ins Bewusstsein.
Weniger spielerisch zeigen sich dagegen die Projekte der in (Post-)Jugoslawien agierenden KünstlerInnen. Ein negatives Verhältnis zur Kunst haben an einem konkreten Fall die Mitglieder der Grupa Spomenik (Denkmal-Gruppe) entwickelt.
Im Rahmen der Erfahrungen mit dem Vorhaben, in Belgrad ein jugoslawisches Kriegs-Denkmal zu errichten, intervenierten sie in öffentliche Diskussionen um die Plausibilität eines Vorhabens, dessen Initiatoren durch ihre eigene Verwicklung in die Geschichte den im Grunde berechtigten Wunsch nach einer symbolischen Aufarbeitung diskreditieren.
Auch Vesna Pavlović dokumentiert nicht nur die Proteste von Aktivistinnen, sondern nahm in den 90er Jahren selbst daran teil. „Women in Black” erinnert an den Mut einer Gruppe von Frauen, die sich konsequent schwarz kleideten, um gegen den Krieg zu demonstrieren und ihre Ablehnung des militaristischen Regimes auch in gezielten Aktionen öffentlich kundtaten.
Letztlich ist auch das Ausstellungsprojekt selbst nur Teil einer breit angelegten Recherche zu den angesprochenen Fragen, die im Katalog dokumentiert und in einer Reihe von Veranstaltungen weitergeführt wird. Damit befindet es sich in Übereinstimmung mit der Tendenz auch der übrigen KünstlerInnen, ihre Arbeiten auf dem Hintergrund einer Kritik an den dominierenden Einstellungen zur Jugoslawien-Problematik zu konzipieren, wenn sie sich nicht wie Sebastjan Leban und Staš Kleindienst am Ende entschließen, sich ganz auf eine theoretische Auseinandersetzung mit den aktuellen Entwicklungen zu konzentrieren. In Form einer Zeitschrift äußern sie sich laufend zum europäischen Krisenmanagement in der Region des Kosovo und begründen den Verdacht, dass hierbei stillschweigend neoliberale und letztlich kolonialistische Strategien durchgesetzt werden. Das Raumschiff Jugoslawien dürfte demnach noch einen langen Weg vor sich haben.

weitere KünstlerInnen: Alban Muja, Adela Jušić / Lana Čmajčanin, Alban Muja, Bojan Fajfrić, Igor Grubić, Hristina Ivanoska, Marcel Mališ, Vahida Ramujkić.

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Michael Hauffen

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