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Kay Winkler und die Tücken des Objekts


Neben dem autonomen Künstler, der durch den Zusatz „frei” charakterisiert zu werden pflegt, taucht neuerdings verstärkt ein Typus auf, der in technologisch dominierte Strukturen derart involviert ist, daß das eigentlich Künstlerische hinter der blendenden Aura von (Ausstellungs-)Architektur, Werbung, finanziellen und politischen Aspekten, Technik etc. vollkommen zu verschwinden droht. Gewiß hat es wenig Sinn diesem Trend zu begegnen, indem man sich an alte Formen klammert. Denn die primäre Frage ist natürlich, auf welche Kunst sich heute ernstzunehmende Wünsche richten. Aber genausowenig taugt für die Beantwortung dieser Frage der kapitulierende Anschluß der Kunst an technische Entwicklungen, auch wenn diese einmal irgendwo kunstimmanenten Tendenzen entsprochen haben mögen. Hatten sie doch im Feld der Kunst selbst einen weiteren oder ganz anderen Sinn, und der lag nicht zuletzt darin, gegenüber der Technik als Korrektiv zu dienen.
Vor diesem Hintergrund könnte das Werk eines Künstlers interessant werden, der ein Spiel mit technischen Elementen betreibt, das sich gegenüber Computer- und Telekommunikationskunst oder sozialpolitischen Mammutprojekten durch pointierte Reduziertheit auszeichnet. Dieser Umstand begünstigt eine reflexive Distanz, die es erlauben könnte, der Falle des Fasziniertseins (ob positiv oder negativ) von der eingesetzten Technik zu entgehen ohne die eigene Wut metaphysisch zu verklären.
In den ersten Varianten der Serie, deren vorläufigen Endpunkt die zwei hier abgebildeten Arbeiten darstellen, stand das Erlebnis faszinierter Betroffenheit noch im Mittelpunkt. Das Arrangement von zwei übereinander gestellten tonnenschweren Betonquadern, die jeweils nur auf je einer lose durchgesteckten Eisenstange und einem Eckpunkt auflagen (plus einem Punkt, an dem sie an einem Betonpfeiler des Ausstellungsraumes angelehnt waren) oder die andere Arbeit, bei der zwei Betonquader hintereinander, mit ebenfalls nur je einer lose durchgesteckten Stange nach unten abgestützt, an einer Wand lehnten: diese beiden Objektkonstellationen mußten auf die Betrachter wie gewaltige Anstrengungen der Equilibristik wirken. Auch wenn das Publikum mit Medienspektakeln genügend vertraut ist, und daher mit unsichtbaren Sicherheitsmaßnahmen (die nicht vorhanden waren) oder eben der Möglichkeit einer Art von optischer Täuschung rechnen mochte – angesichts der physischen Präsenz dieser steinernen Massen und ihrer drohenden Wucht konnte man zumindest den latenten Schrecken, der das Leben in einer hochtechnisierten Welt begleitet, kaum mehr verdrängen.
Nun hat aber dieser Schrecken nicht nur für den, der andere damit zu beeindrucken vermag, sondern auch für die davon Überwältigten nicht selten eine genußvolle Seite, die z. B. im Spiel das Erschrecken manchmal unermüdlich wiederholen läßt. Und es ist vermutlich auch dieser Aspekt der Technik, der es ermöglicht hat, daß sie seit Anfang des 19. Jahrhunderts in der Form des Spektakels eine Rolle übernehmen konnte, die zuvor ausschließlich von magischen und mysteriösen Praktiken ausgefüllt war. Die Reichweite dieser Verschiebung bis zu den heutigen Formen der Normierung und Normalisierung durch spektakuläre Unterhaltung, macht schon deutlich, daß der nach wie vor herrschende Technikbegriff, der auf einer Trennung von autonomen Subjekten einerseits und technischen Mitteln andererseits beruht, unzureichend ist.
Kay Winklers „O.T. Haimhausen” kann nun als gelungener Versuch verstanden werden, in dem durch ein Mißverhältnis zwischen Begriff und Phänomen gekennzeichneten Wahrnehmungsfeld, dessen blinder Fleck sich sozusagen allen Involvierten immer unheimlicher aufdrängt, ein Konstrukt zu plazieren, das die Spannung zwischen Rationalität und Begehren nicht einseitig auflöst, sondern als Herausforderung ernst nimmt. Dieses Objekt besteht aus zwei quadratischen Betonplatten, die durch drei lose durchgesteckte Eisenstangen nun so miteinander verbunden sind, daß sie parallel übereinander gehalten werden. Die drei Eisenstangen geben genug Halt, daß das Konstrukt auf einem offenen Feld und von sich selbst aus zu stehen vermag. Allerdings ist auch erkennbar, daß dieses Stehen nicht einfach das Resultat eines von unten nach oben schrittweise ausgeführten Aufbaus ist, sondern sich genauso von oben nach unten begründet: Die obere Platte zwingt wie die untere die drei Eisenstangen in eine Position, die den definitiven Winkel aufweist, an dem sich erst die Stangen in den Löchern der Platten derart verkanten, daß sie die Platten festhalten. So verweist auch die leichte Gedrehtheit der oberen gegenüber der unteren Platte auf eine Art Sturzbewegung der oberen Platte, die durch die Aufspreizung der Stangen erst im Fall gestoppt wurde.
Angesichts der schließlich resultierenden horizontalen Lage der beiden Betonplatten, kann die rudimentäre Ähnlichkeit der „Skulptur” mit einer Baustelle des zeitgenössischen Betonskelettbaus nicht mehr geleugnet werden. Die elementare Lust am Bauen als Prozeß ordnet sich aber weder praktisch noch symbolisch einem sogenannten realitätsgerechten Sinn unter, sondern wird vielmehr gesteigert von einem Hang zum Abenteuerlichen, der sich nicht nur im Resultat als Spur riskanter Experimente zeigen mag, sondern auch in demonstrativer Lässigkeit die Stabilität des „Neubaus” als offensichtlich fragwürdig stehen läßt, und überdies die Erwartung seines Einsturzes provoziert.
Wenn nun trotzdem die beiden Betonflächen in ihrer horizontalen Lage verbleiben, und damit zu jenen Phantasien einer bequemen und dauerhaften Erhobenheit oder Erhabenheit einladen, so tun sie das nicht in einer Weise, die die dadurch suggerierte Ordnung als selbstverständlich oder gar naturgegeben erscheinen läßt, sondern unter gleichzeitigem Verweis auf die objektiven wie auch subjektiven Gefährdungen, denen das Ideal des Schwebens auf unserem Planeten ausgeliefert ist, was seiner hartnäckigen Aufrechterhaltung den Charakter der Absurdität verleiht.
Die Frage nach dem angemessenen Umgang mit der Technik wird so weder auf ein wie auch immer gestaltetes vorgängiges Interesse begrenzt, noch irrationalistisch verworfen. Sie wird vielmehr erst in ihrem ganzen Umfang aufgeworfen und als sowohl rationales als auch emotionales Problem der Menschheit gestellt.
Die rationale Seite betrifft auch ein Denken, das einen bestimmten Geist der Technik transportiert. Dazu sei hier als Beispiel die in verschiedenen Varianten auftauchende Redewendung zitiert, daß sich ein Künstler auf ein bestimmtes Qualitätsniveau hochgearbeitet habe. Die technische Begrifflichkeit erstreckt sich hier nicht nur in soziale Zusammenhänge sondern auch bis in ästhetische Urteile. Darauf gemünzt kann aber auch ein technisches Konstrukt eine Aussage darstellen. Winklers „Geräte” bringen eine klare Ablehnung des Optimismus der Beherrschbarkeit zum Ausdruck, indem sie einen weiteren Erfahrungszusammenhang reflektieren: Erreichte Niveaus sind nicht nur einsturzgefährdet, sondern auch womöglich als Fallen des Ausschlusses wirksam, und die Absicherungen gegen unberechenbare Wendungen schränken die Spielräume für Neues regelmäßig bis zum drohenden Maximum einer irreversiblen Gespensterhaftigkeit des Lebendigen ein.
Davon betroffen ist die bekannte künstlerische Praxis, ein einmal gewonnenes Konzept wie ein Automat zu wiederholen. Auch Winkler könnte leicht in eine solche Mühle geraten. Die beiden jüngsten Arbeiten (siehe Abbildungen) lassen aber eine Minimalisierung des eigenen Ansatzes erkennen, die vielmehr wie das entschiedene Zusteuern auf einen loslösenden Endpunkt wirkt. In der Bodenarbeit ist die Höhe, die die Betonplatten erreichen, kaum das Doppelte ihrer eigenen Dicke. Außerdem sind sie nicht breiter als ein schmaler Steg, auf dem man zu Fuß einen Bach überqueren könnte. Die Unsicherheit, in die sie den Betrachter versetzen, ist zwar, wenn man genau hinsieht, noch da, drängt sich jedoch in keiner Weise mehr auf. Man kann das vielleicht dahingegend deuten, daß selbst im Zustand der Ermüdung und für den entsprechenden Erholungsbedarf ein geringes Quantum Risiko gut ist.
Bei der anderen Arbeit, deren Betonplatte gerade so hoch gehalten wird, daß man sich mehr oder weniger gebückt darunter stellen könnte, ist zwar das Spiel mit der Gefahr wieder präsent, aber auch hier deutlich reduziert. Die fast waagrechte Platte lehnt nur ganz leicht und nur mit einer Ecke an der Wand des Ausstellungsraumes, gehalten von zwei Eisenstangen, die sich direkt über ihr kreuzen und so einen weiteren festen Punkt im Raum markieren. Von diesem aus zeichnen die beiden Stangen ein gleichschenkliges Dreieck, das fast parallel zur Wand liegt. Es entsteht der Eindruck, daß die hauptsächliche Instabilität des Objekts vollständig von der Wand aufgefangen wird, und wegen der geringen Neigung auch leicht abgefangen werden kann. Der ursprüngliche aggressive Impuls scheint gemäßigt, und sich der Zerbrechlichkeit der Umwelt als seiner eigenen bewußt geworden zu sein. Derart in sich zurückgenommen kommt die Figur dem Punkt, an dem die Betonplatte frei schwebend balanciert, so nahe wie ohne Absturz möglich. Das Pathos idealistischer Höhenflüge wird aber auch hier vom Verweis auf das lapidare Faktum der Stangen denunziert, deren geringer Pflichteifer bezüglich ihrer Rolle als tragende Elemente sozusagen unmittelbar und heiter ins Auge fällt.
Winklers Umgang mit dem Technischen ist insgesamt eine klare Absage an die Versuchung, durch die Macht des Rationalen gegenüber Störfaktoren und Unsicherheiten immun zu werden. Wenn er auch innerhalb des Bereichs, der ihm praktisch zugänglich ist, sich gegenüber jedem denkbaren Risiko absichert, so kommt auf der semantischen Ebene doch klar zum Ausdruck, daß ihm die Nichtigkeit solcher Maßnahmen in komplexeren Zusammenhängen bewußt ist. Die Ablehnung jeglicher Phantasmen der Verwurzelung setzt aber hier ein Lachen frei. Daß ein solches von Amüsement oder Entertainment weit entfernt ist, bedeutet allerdings nicht, daß der Künstler einer von wenigen ist, die es spüren. Womöglich wartet es schon an vielen Ecken und Enden darauf, daß es endlich aus seinen inneren Abgründen herausgelockt wird. Kay Winkler könnte dann vermutlich nichts mehr am schwerelosen Schweben hindern.

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Michael Hauffen

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