im öffentlichen Raum der Stadt München26.8. - 11.9.2012
erschienen 2012 in KUNSTFORUM
Mit der Olympiade 1972 in München war die Herausforderung verbunden, den Eindruck der Spiele von 1936 als überholte Vergangenheit und Deutschland als eine erneuerte und weltoffene Gesellschaft erscheinen zu lassen. Dafür kam die Revolte von 1968 und ihre kulturellen Auswirkungen gar nicht ungelegen, bot es sich doch an, zusammen mit der transparenten Zeltdacharchitektur die allgemeine Aufbruchstimmung als Ausdruck demokratischer Freiheiten zu präsentieren. Es schien also nur noch darum zu gehen, die verschiedenen Motive und Ausdrucksweisen der Neuen Linken – die bis zu einer dezidierten Kritik am organisierten Sport reichten – in eine unproblematisch erscheinende und warenförmigen Oberfläche zu verpacken. Die Lösung fand sich in Otl Aichers utopischem Design in Verbindung mit einem künstlerischen Rahmenprogramm, das auch politische Positionen einschloss. Und nicht zuletzt sollten auch die vollkommen neuen Konzepte polizeilicher Konfliktvermeidung, die auf psychologischer Aufarbeitung von Erfahrungen mit Demonstranten gründeten, dazu gerechnet werden. Im Gegensatz zur traditionell stark autoritär geprägten Einschüchterungstaktik setzten sie auf eine raffinierte Strategie umfassender Kommunikationsangebote bis hin zum karnevalesken Umgang mit Situationen. So sollten etwa vor einer Festnahme Blumen überreicht und jeder Art von Aggression mit freundlichen Gesten und viel Verständnisbereitschaft der Elan genommen werden. Alles das fand in der heiteren Farbpalette der Uniformen, die von den circa 40.000 Helfern im Umfeld der Spiele getragen wurden, seinen sinnfälligen Ausdruck. Das Künstlerduo Dellbrügge & de Moll hatte nun die Idee, aus der Distanz von vierzig Jahren die „What-If?”-Frage zu stellen. Was wäre, wenn damals kein palästinensisches Terrorkommando zu einem desaströsen Verlauf geführt hätte? Und was wäre, wenn die damalige Utopie eine schon gemäßigte Aufbruchstimmung in ein perfekt organisiertes Modell allgemein geteilter Freude verwandelt und nachhaltig auf die Gesellschaft ausgestrahlt hätte? Zur Beantwortung dieser Fragen entwarfen sie eine Versuchsanordnung, die vorsah, mit vierzig Schauspielerinnen und Schauspielern an verschiedenen Orten Münchens die Menschenströme, die sich dort bewegen, ähnlich wie damals angenehm zu überraschen und temporär eine Art Reenactment-Molekül in den öffentlichen Raum zu implantieren. Wesentliches Element des Aktionsteams bildeten die Uniformen, die von der Modeschöpferin Anna Sophie Howoldt den ursprünglichen Entwürfen des Pariser Stardesigners Courèges nachempfunden waren, und somit einerseits – vor allem bei den Münchner Passanten – Erinnerungen weckten, andererseits aber auch der Eigendynamik einer auffälligen Gruppenperformance folgte. Die Truppe gliederte sich in die vier Farben Gelb, Blau, Grün und Orange, die teilweise unterschiedlich agierten. Beispielsweise fungierten die orangefarbenen Akteure gelegentlich als benennender Chor, indem sie in eine Richtung deuteten und laut den Namen eines Gebäudes oder eines Gegenstandes verkündeten. Die grüne Gruppe (ehemals der Farbcode für Mediendienste) konzentrierte sich auf das Fotografieren des gesamten Geschehens. Gelegentlich agierten auch alle Farben gemeinsam, etwa um kurzfristig eine Demonstration mit dem Schlachtruf „Grün, Blau, Gelb, Orange” zu fingieren, oder um den Einmarsch der Nationen winkend und in lockerer Formation am Stachus-Brunnen nachzuspielen. Eine große Rolle spielte auch die Kontaktaufnahme mit Passanten. Für jeden der zwölf Tage wurden jeweils wechselnde historische Bezüge unterlegt, die von den Schwabinger Krawallen bis zum Olympia-Waldi reichten – dem Maskottchen, das 1972 dem Bild des deutschen Schäferhundes entgegengehalten worden war. Die blauen Uniformen (ehemals die Farbe für die Polizeikräfte) stellten daran anknüpfend eine Dackelbrigade nach, die im Fall einer Demonstration dazu hätte dienen sollen, einen politisch motivierten Klamauk mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Mit dem Titel des Projektes „Reconstructing Future” machen Dellbrügge & de Moll deutlich, dass es ihnen darum geht, nach dem gesellschaftlichen Potential zu fragen, das in jener „Utopie des Designs” liegt, der damals eine große Chance eingeräumt worden war. Es war vor allem der Mut sozialdemokratischer Politiker, der diesem offenen Geist den Weg gegen den starken Widerstand konservativer Kräfte ebnete. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, dass damit der Höhepunkt sozialdemokratischer Politik im Sinne eines belastbaren Sozialstaatsprojektes nahezu erreicht war. Entsprechend haben sich die Ideale der damaligen Designer und Architekten, denen es noch möglich war, jegliche private Werbung auszuschließen, heute in funktionale Modelle oder in Fetischobjekte verwandelt. Und auch für die vierzig Akteure ist es beinahe unmöglich, sich von reinen PR-Maßnahmen zu unterscheiden, die vor allem partikularen Interessen dienen, selbst wenn es dabei um Image-Werbung für eine Millionenstadt ginge. Der Designer Otl Aicher hatte es in der verwendeten Farbpalette auf Heiterkeit angelegt, und nicht nur für hellblaue Polizeiuniformen, sondern auch für die weitgehende Vermeidung der Farben Rot, Schwarz und Braun gesorgt. Seine große Vision war es, einen festlichen Rahmen zu schaffen, in dem eine breite Allgemeinheit ihre demokratische Zukunft würde feiern und ihre Gegensätze auf konstruktive Weise würde aufheben können. Auf keinen Fall wollte er eine Show. Vermutlich war das schon damals reines Wunschdenken; in unserer globalisierten Welt hat sich aber auch dieser Tagtraum weitgehend verflüchtigt. Umso wertvoller könnte die Erinnerung daran sein, welche Bedeutung dieser Vision einmal zugemessen wurde, ebenso wie der Versuch, heute daran produktiv anzuknüpfen – auch wenn diese Erinnerung und dieser Versuch überschattet werden von der Erfahrung des ungebremsten Vormarsches neoliberaler Kräfte, denen es gelungen ist, Teile jener Utopie in eine gänzlich andere Logik zu integrieren.
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