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Tbilisi, Oktober 2012


Die Disneyifizierung von Tbilisi, der Hauptstadt Georgiens, schreitet mit großen Schritten voran. Einer der auffälligsten Neubauten der letzten Jahre ist eine neue Kirche im XXL-Format, die die christliche Geschichte der kleinen Kaukasusrepublik zum Markenzeichen umformuliert. Auch Teile der Altstadt werden derzeit als touristische Klone rekonstruiert...','Die Disneyifizierung von Tbilisi, der Hauptstadt Georgiens, schreitet mit großen Schritten voran. Einer der auffälligsten Neubauten der letzten Jahre ist eine neue Kirche im XXL-Format, die die christliche Geschichte der kleinen Kaukasusrepublik zum Markenzeichen umformuliert. Auch Teile der Altstadt werden derzeit als touristische Klone rekonstruiert.

Ein prägnantes Beispiel für den rigorosen Umbau der Stadt bilden die aus ihrer zentralen Position in die Peripherie verdrängten Produzentenmärkte und das „Pirimse”, jenes markante Gebäude, das bis 2007 einer breiten Palette von Handwerkern als gemeinsame Arbeitsstätte diente, und das nun als luxussaniertes „Pirimse-Plaza” wiederauferstehen soll. Die Künstlerin Sophia Tabatadze hat in einem Langzeitprojekt den gesamten Ablauf dieser Transformation dokumentiert, um stellvertretend an diesem Fall den schrittweisen Übergang in eine kapitalistische Wirtschaft und die damit verbundenen Enteignungen ehemaliger Allgemeingüter zu zeigen. Immerhin befindet sich das Land nach zwei kurz zurückliegenden Kriegen und mithilfe von ausländischem Kapital derzeit auf dem Weg zu dem, was man Normalität nennt. Stefan Wackwitz, Schriftsteller und Leiter des Goethe-Instituts fühlt sich denn auch an das Italien der 60er Jahre erinnert. Was die großen Geldmengen, die in das Land fließen, bewirken werden, ist freilich unklar.

Wie der Titel der diesjährigen „Artisterium”-Ausstellung (Kuratorin: Magda Guruli) zeigt, gibt es jedenfalls Künstler, die zur Konfrontation bereit sind. „The Protest that Never Ends”, nennt sich die Zusammenstellung nationaler und internationaler KünstlerInnen. Eine Abteilung, kuratiert von Lydia Matthews aus New York, brachte alternative Eventkultur in den Eliava Markt, ein großes Areal, in dem vor allem Baumaterialien und Autoersatzteile verkauft werden. Naturgefärbte Stoffe, bemalte Reifensäulen, kreative Kurztherapien und ein Rap-Auftritt in englischer und georgischer Sprache unterbrachen für einen Tag das Alltagsgeschehen und hinterfragten auf lustvolle Art verschiedene globale gesellschaftliche Festlegungen, die vor der georgischen Kultur nicht haltmachen.
Eine weitere internationale Künstlergruppe („Nine Dragon Heads”) hatte sich zuvor auf eine Reise entlang der ehemaligen Seidenstraße nach Usbekistan begeben. Die Unabhängigkeit vom US-amerikanischen Baumwollmarkt wurde dort mit der Zerstörung eines fruchtbaren Lebensraums bezahlt. Hohe Sowjets hatten in den 60er Jahren den Ausbau von Monokulturen beschlossen, und dafür das Wasser zweier Flüsse umgeleitet, die zuvor den Aralsee gespeist hatten. Zurück bleibt ein biologisch totes Gewässer und eine unfruchtbare Sandwüste, auf der Fischerboote verrosten.

Das „Öko-System Kunst” in Georgien muss sich heute zwischen konservativen und marktkonformen Strukturen erst noch entfalten. Die Blicke sind vor allem ins Ausland gerichtet. Das machte auch die Ausstellung „Reframing the 80ies”, kuratiert von Irina Popiashvili deutlich: Alle suchten den Anschluss an westliche Trends. So erscheinen als einzig authentische Darstellungen der damaligen Kunstszene die Fotoportraits von Guram Tsibakhashvili, der die Künstlerinnen und Künstler in ihrer Umgebung und bei performativen Auftritten begleitet hat.

Externe Geldgeber, Übermacht westlicher Vorbilder und die wirtschaftliche Orientierung an touristischer Vermarktung: all das sind Faktoren, die nicht gerade den Weg zu einer Kultur der Kritik ebnen. Umso wichtiger erscheint die Initiative von Wato Tsereteli und Katharina Stadler, die ein Ausbildungsinstitut für zeitgenössische Kunst (CCA) gegründet haben, und darauf aufbauend nun (zusammen mit Henk Slager, Utrecht) eine erste Triennale in Tiflis organisierten, in der die Auseinandersetzung mit Ausbildungskonzepten im Mittelpunkt steht. Die Frage nach den Bedingungen kreativer Lernprozesse reicht bis zur grundsätzlichen Frage nach einem tragfähigen Gegenmodell zu repressiven Sozialsystemen und ihrer Reproduktion.
Praktisch geht es um die verschiedenen Möglichkeiten in bürokratisch beschränkten Strukturen autonome Brennpunkte zu organisieren. Wie Katharina Stadler in ihrem einleitenden Vortrag ausführte, genügt es in Georgien, dass die Kurse weniger als neun Monate dauern, um ohne Lizenz und bürokratische Hürden lehren zu können. Und sie ging auf die verbreitete Vorstellung ein, dass Kunst in einem Meister-Schüler-Verhältnis gelehrt werden müsse. Gegen die Logik der Erzeugung von mentalen Kopien ihrer Vorbilder setzte sie die Idee selbstorganisierter Gruppen und verglich ihre eigene Rolle mit der eines Coach.

Das anschließende Symposion gab weiteren InitiatorInnen alternativer Kunstausbildungsprojekte Gelegenheit, ihre Erfahrungen vorzustellen. Das Spektrum reichte von politischen Aktivisten, die hohe Risiken eingehen, um ihre widerständige Praxis zu betreiben (wie Oleksiy Radynsky aus der Ukraine oder Sabina Shikhlinskaya aus Aserbaidschan) über Pioniere einer liberal orientierten Ausbildung (wie René Francisco, Havanna) bis hin zu diversen Versuchen, einer zunehmend industrialisierten Ausbildungsmaschinerie und dem globalen Trend der Instrumentalisierung kreativer Ressourcen zu entkommen. Stephan Dillemuth, Lehrstuhlinhaber an einer deutschen Kunstakademie (München), beschrieb die Besetzung seines Instituts durch Studierende vor drei Jahren als Vergegenwärtigung von dessen ursprünglich utopischem Potential. Die Künstlergruppe relax ging auf die Situation an der F+F Hochschule in Zürich ein. Ein privates Institut füllt hier die Leerstelle unvollständiger Ausbildungsangebote. Die Studiengebühren sind hoch, trotz geringer Gehälter der Lehrenden. Das Thema der Finanzierung wird aus dem Lehrplan aber nicht ausgeklammert, und bildet eine der Grundlagen für die starke Solidarität unter den Beteiligten.

Die Ausstellung verteilte sich über verschiedene Institute von Tbilisi, etwa mit einer Videoarbeit von Rainer Ganahl (in Zusammenarbeit mit Tina Bepperling), die der aggressiv fußgänger- und fahrradfeindlichen Verkehrsordnung der Stadt zu begegnen sucht, oder der Rauminstallation von J. Morgan Puett (in Zusammenarbeit mit Mark Dion), die für einen sorgsameren und ganzheitlichen Umgang mit Textilien wirbt. Alle anderen Arbeiten sind Kollektivprojekte mit Studierenden. Die Züricher Gruppe stellt einige der typischen Normen pädagogischer Disziplinierung ironisch in Frage. Eine großzügige Videoinstallation dokumentiert das Medea-Projekt der MAHKU, Utrecht, in dem Studierende verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiteten. Die Gruppe „Crypt Project” vom Frankfurter Städel stellt eine Art Atelierparty aus, und die Ruderal Academy von Sarah Cowles führte Gespräche mit den BewohnerInnen einer inzwischen brachliegenden Minenregion Georgiens. Einer der vielen Workshops findet im Refugium des Künstlers Mamuka Japharidze statt, der sich neben seiner künstlerischen Arbeit als Pionier georgischen Bio-Anbaus betätigt, und in diesem Zusammenhang wöchentliche Pflanz- und Kochexperimente mit Studierenden des CCA durchführt.

Ein ereignisreicher Oktober bewies, dass die aktuelle Kunst des kleinen Landes allen Widerständen zum Trotz kein Schattendasein führt, sondern eine Reihe engagierter AkteurInnen aufweist, denen sich hier besondere Chancen bieten, um Fragen von globaler Relevanz in neue Perspektiven zu rücken. Gegen den allgemeinen Trend zu einer Standardisierung von Raum und Zeit, die freilich auch an diesem Ort vorangetrieben wird, könnte es gerade auch die Lückenhaftigkeit im politischen Angebotsspektrum sein, die noch weitere Gelegenheiten für überraschende Interventionen bereithält.

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Michael Hauffen

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