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Zoran Terzić – Idiocracy. Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten


Die Vernunft gebiert nicht nur Ungeheuer, sondern auch Idioten. In einer Art detailliertem Update zur »Dialektik der Aufklärung« konzentriert sich dieses Buch auf ein Phänomen, das spätestens, seitdem ein offensichtlicher Idiot das weltweit höchste Regierungsamt einnehmen konnte, keinen Nebenschauplatz der Geschichte mehr darstellt.

Bevor es sich diesem aktuellen Thema und seinem sozialpsychologischen Kontext zuwendet, werden aber grundlegende Merkmale der verschiedenen Formen von Idiotie herausgearbeitet und nach Typen geordnet. Zuerst aufgetaucht ist der Begriff bei den alten Griechen, wo er einen unpolitischen Privatmann bezeichnete, in der Moderne wurde er dann in einen psychiatrischen Diskurs übernommen, und diente der Abgrenzung zur Normalität und ihrer rationalen Kontrolle – wogegen sich allerdings auch bald Widerstand von künstlerischer Seite richtete. In literarischen Werken tauchten solche »unmöglichen« Subjekte auf, und demonstrierten, dass die Voraussetzungen der Normalität weder selbstverständlich noch befriedigend waren.

Anstatt das aufgeklärte Wissen gegen menschliche Unfähigkeit zu verteidigen, liegt hier die Chance, es besser zu verstehen, als es sich selbst versteht, und dazu sind naiv-eigensinnige Umgangsweisen mit Situationen und Zeichen in ihrer anarchischen Direktheit oft besser geeignet als der Kanon der Theorien und Fachdisziplinen.

Dieser Erfahrung wird Terzić gerecht, indem er zwei Pole des Idiotentums gegenüberstellt: den auf anfängliche Begeisterung und den auf reaktiven Trotz gegründeten.

Die politischen Implikationen dieser Spannung zwischen verschiedenen Fähigkeiten und Beschränktheiten werden anhand zahlreicher kleiner und großer historischer Phänomene konkretisiert; ihre Analyse mündet regelmäßig in Paradoxien, deren Irritation, oder besser: deren treibende Dynamik in Denkbildern rekonstruiert wird.

Ein mehrfach wiederkehrender Erklärungsansatz besteht in der Logik eines Kapitalismus, der die Subjekte einem allgemeinen Wertgesetz unterwirft, dabei aber die individuelle Privatexistenz zur Bedingung macht. Als Isolierte, die unter Konkurrenzdruck und Abstraktionszwang stehen, aber ihre Besonderheit geltend machen müssen, werden die Einzelnen quasi automatisch verrückt. Die Bourgeoisie sabotiert sich selbst, meinte schon Marx und heute erstaunt uns die Erzählung von einem Mann, der sich entscheidet, alle Mitbewerber zu beseitigen, um einen Job zu bekommen, nicht mehr wirklich.

Die Zuspitzungen der neoliberalen Welt, die wir erleben, scheinen zusammen mit der Einsamkeit der Einzelnen, und der gleichzeitigen Bereitschaft, sich willkürlich irgendwelchen Trends anzuschließen, um ihr zu entkommen, das Soziale in einen Strudel zu ziehen, der alle Lebensbereiche immer tiefer durchdringt und sie der Verwertungslogik unterzieht. In dem Film »Idiocracy« (2007), dem das Buch auch seinen Titel entleiht, folgt daraus eine Gesellschaft von letzten Idioten, die vor dem Fernseher sitzen, konsumieren und onanieren. Nur die staatlichen Ordnungskräfte funktionieren weiter und halten ein System der Kontrolle aufrecht. Die Frage ist, ob diese Parallelität von Idiotie und Macht bereits unsere Gegenwart charakterisiert, und ob sie das absolute Ende der Geschichte markiert.

Das Thema wäre nicht vollständig behandelt, wenn nicht auch der Trumpismus (mit einem eigenen Kapitel) und andere aktuelle Phänomene des globalen Kapitalismus behandelt würden. Sie stellen das menschliche Denkvermögen nicht nur in Frage, sondern im Zusammenhang mit den Verwerfungen der medialen Kommunikation, die sie implizieren, droht ein Informationstod, der die Verstandeskräfte der Multitude auf eine harte Probe stellt. Solche Entwicklungen wurden schon von Adorno als Symptome eines gefährlicheren neuen Faschismus gedeutet und von Guy Debord nicht nur theoretisch interpretiert, sondern auch praktisch mit subversiven Aktionen beantwortet. Die Arbeit an der Kritik der Verhältnisse, an ihrer theoretischen Durchdringung, wird daran anknüpfend weiter getrieben werden müssen, wenn man eine Praxis konzipieren will, die sich dem algorithmisch regulierten Konsens in der Öffentlichkeit widersetzt. Die Selbsterhaltung verlangt zwar Zugeständnisse an die herrschende Konsumwelt, dem alltäglichen Konformitätsdruck steht aber immer noch eine Kultur komplexer theoretischer Intelligenz gegenüber, die allerdings ohne öffentliche Manifestation ebenfalls droht, in selbstzentrierter Wunscherfüllung stecken zu bleiben. Der Übergang von der Theorie zur Praxis – das Buch widmet ihm sein letztes Kapitel – kann jedoch kein glatter sein. Wenn es denn stimmen sollte, dass der Kapitalismus zugleich das Schlimmste und das Beste ist, das der Menschheit geschehen konnte, wie Fredric Jameson einmal geschrieben hat, dann müsste es eine Auflösung geben, die nicht von instrumentellen Vernunftprinzipien dominiert wird, sondern von wildem Eigensinn. Es müsste eine spontane Aufhebung der ökonomischen Grundlagen und ihrer kulturellen Imperative sein.

Die Quintessenz dieses Buches ist die Konzentration auf die eher ephemeren, ohne allzu lange Überlegung und ohne weitreichende Programmatik unternommenen Arten von Widerstand, die festgefahrene Semantiken und konditioniertes Verhalten unterminieren. Auch in der Kunst gelingt es manchmal, die Einzelnen an ihre ureigene Andersheit zu erinnern und vorzuführen, wie man die absurden und verworrenen Verhältnisse in den Gegenstand einer lustvollen Demaskierung umschlagen lässt.

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Michael Hauffen

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