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Kyiv Perenniale


»Peace is when they are shooting somewhere else« steht auf einem der Poster, das Pavel Brăila neben anderen Künstler*innen für diese Ausstellung gestaltet hat. Aber fängt der Krieg nicht schon vorher im Kampf um kommunizierte Fakten, Interpretationen und Bilder an?
Wenn die neue Gesellschaft für bildende Kunst nun ihre Räume zusammen mit Partnerorganisationen zur Verfügung stellt, um der Kyiv-Biennale, die auf solche Exilbühnen angewiesen ist, eine Fortsetzung zu ermöglichen, dann geht es jedenfalls um die Auseinandersetzung mit einem Konflikt, der uns alle betrifft.
Gleich am Eingang empfängt ein anderes Statement die Besucher*innen: »It’s not your problem« lautet der Satz, den Anton Shebetko als Neon-Schriftzug in das Fenster gehängt hat. Allerdings verschwindet das Wort »not« regelmäßig aus dem Satz und dieser Wechsel zwischen Appell und Entlastung bringt die missliche Lage, und womöglich auch ihre fatale Logik, genau auf den Punkt.
Wie vor allem in den vielen Videos der Ausstellung deutlich wird, können uns Bilder – gleich im ersten Videoraum sind es langsam mit einer Kamera abgefahrene Orte mit expliziten Spuren kriegerischer Verwüstung – sehr direkt involvieren und tangieren. Aber zeigen sie auch Wege, damit sinnvoll umzugehen? Wenn sich künstlerische Ausdrucksformen von dem unterscheiden, was mit den Massenmedien auf uns einwirkt, dann vor allem durch die Weise, wie die subjektiven Verstrickungen, die mit der Erfahrung von Gewalt und Zerstörung verbunden sind, verarbeitet werden können.
Die Langsamkeit der Betrachtung, die der museale Raum bietet, ist sicher schon einmal eine erste Voraussetzung, damit das gelingen kann. Bei den Fotografien von Yana Kononova kommt die räumliche Ausdehnung hinzu. »Pilgrimage 1–8« ist eine Serie von dunkelgrauen Aufnahmen des Dnipro-Staudamms. Sie sind eindrücklich an einer langen horizontalen Achse ausgerichtet. Zusätzlich in die Fotografien eingeblendet sind manchmal andere, vage erkennbare Landschaften. Sie deuten eine Art Traumszenario an, das trotz der Düsterheit und dem Wissen um den Dammbruch auch Trost bietet. Ähnlich dürften es auch die Spazierenden sehen, die als kleine Figuren in der teilweise überschwemmten Landschaft zu erkennen sind.
Auf einer weiteren großen Wandfläche sind Graphitzeichnungen von Vladyslav Riaboshtan verteilt. Sie haben alle das gleiche Format und stellen das Kriegsgeschehen in seinen vielfältigen Formen in kontrastreichem Schwarz-Weiß dar: Zerstörte Gebäude, Kampfflugzeuge am Himmel, Rauchwolken, Einschläge etc. Auch wenn es wegen der Präzision, mit der viele Details ausgeführt sind, so scheint, als ob sie nach Fotovorlagen gezeichnet wären (was nicht erlaubt wäre), tendieren sie ein Stück weit zu Comic Strips, unter anderem wegen der hier und da auftauchenden technischen Elemente, die wie eingeblendete Anzeigeinstrumente wirken. Einmal ist es auch nur ein Balken, der quer über das Bild läuft und es somit durchstreicht. In ihrer speziellen Mischung aus Vereinfachung und Detailtreue beweisen die Zeichnungen die gelungene Transformation ihrer prekären Entstehungsbedingungen in einen eigenen Stil, und manifestieren offenen Widerstand.
Das Kollektiv DE NE DE dokumentiert kulturelle Entwicklungen unter wechselnden Machtverhältnissen und hat sich 2015 in Reaktion auf die sogenannten Entkommunisierungsgesetze gegründet. Ihr Engagement gilt dem Erbe der Sowjetzeit, insofern es nicht nur Ausdruck imperialer Kolonisierung war, sondern auch Wünsche und Initiativen aus dem eigenen Land aufbewahrt. Beispielsweise war ein 1946 in Kiev gegründetes Labor für experimentelle Kunstkeramik – maßgeblich Frauen – erfolgreich in der Entwicklung von farbigen Kacheln für Außenräume, die zusammen mit der Kreativität lokaler Künstler*innen nicht zuletzt zu beeindruckenden Monumental-Reliefs führten. Einen anderen Themenbereich bildet die wechselvolle Geschichte urbanistischer Konzepte am Beispiel von Parkanlagen und Kleingartensiedlungen.
Bei Between Bridges (dem von Wolfgang Tilmanns gegründeten Kooperationspartner) wird u.a. eine Produktion von Mykola Ridnyi gezeigt, die den Streit zwischen Russland und Ukraine in das Genre des Battle-Rap übersetzt. Als Vorlage dienen die Mythen, die sich um den kosakischen Feldherrn Mazepa ranken. Die pro-ukrainische Version stammt von Lord Byron, während die abschätzige Sichtweise aus Sowjetzeiten auf Puschkin zurückgeht. Es stehen sich also in wechselnder Besetzung je eine Rapper*in, die die Byron’sche Version und eine die die Puschkin’sche Version verteidigt, in der rhythmisch einstimmenden Gruppe gegenüber. Die Akteure bringen in ihren Wortkanonaden klarerweise ihre eigenen Spannungsherde ins Spiel, womit nicht zuletzt deutlich wird, wie vielschichtig kulturelle Identitäten beschaffen sind.
In der station urbaner kulturen in Hellersdorf bietet sich die Möglichkeit in eine 3D-Simulation der ehemaligen Fabrik Izolyatsia in Donezk und ihre Geschichte einzutauchen. Das Gebäude wurde zunächst als Art Center genutzt, dann aber zum russischen Gefängnis gemacht. Die Künstler*innen Daria Kozlova and Arwina Afsharnejad ermöglichen es, sich von all dem einen Eindruck zu verschaffen. In einem anderen Raum zeigt Leon Kahane vergrößerte Fragmente von DDR-Plakaten, auf die er gestoßen ist, als er den Aktivitäten seines Großvaters nachforschte. Max Kahane berichtete als Sowjet-Reporter von den Nürnberger Prozessen und hatte seine Aufzeichnungen, bevor er sie dem Deutschen Historischen Museum übergab, in das Papier jener Plakate eingeschlagen, die gerade zur Hand waren. So bilden die gerahmten Ausschnitte nun eine Art Palimpsest: Fragmente beschönigender DDR-Propaganda, die auf das kritische Engagement eines Zeitzeugen verweisen.
Für das Potential, das die ukrainische Kunstszene zu bieten hat, liefern diese Stichproben starke Belege. Sie zeugen auch vom hohen kreativen und reflexiven Niveau einer Region und lassen spürbar werden, weshalb ihre Bewohner*innen nicht bereit sind, den Kampf um Unabhängigkeit aufzugeben.

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Michael Hauffen

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