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Henning Schmidgen - Die Maschinen des Unbewußten
Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan


Metaphern wie „sex machine” oder „dream machine” gibt es schon lange, und sie können als Ausdruck für das Bewußtsein verstanden werden, daß wirklich Erregendes und Befreiendes nicht so sehr – wie wir es in der Schule gelernt haben – dem Genie großer Einzelner entspringt. Aber natürlich soll der Wunsch nach Leben deshalb nicht in optimal konditionierter Normalität enden, oder sich der Magie faszinierender technischer Möglichkeiten verschreiben.
Wofür allerdings schon die Namen Marx und Freud im Zusammenhang gesellschaftlicher bzw. psychischer Mechanismen stehen, das ist die Erkenntnis, daß wir uns nicht ungebrochen als autonome Wesen sehen können, die dem Maschinellen souverän gegenüberstehen. Wir leben in offenbaren Verstrickungen in ökonomische Mechanismen, und ein „psychischer Apparat” hängt unserem bewußten Ich nicht nur an (weshalb der Ausdruck auch problematisch ist), sondern bildet dessen Basis.
Die von hier ausgehenden Paradoxien hindern bekanntlich kaum jemanden daran, alte Vorstellungen zu konservieren, und die drohende Entmachtung des Subjekts zu verdrängen, aber neue theoretische Entwicklungen, etwa im Bereich der Neurologie, oder unter dem Begriff der Selbstorganisation im Rahmen des Radikalen Konstruktivismus liefern immer wieder neue Bestätigungen für die Reichweite „autopoietischer Systeme” oder komplex chaotischer Strukturen.
Ist damit der Ansatz von Deleuze/Guattari, die bereits 1972 in ihrem Buch „Anti-Ödipus” den Begriff der „Wunschmaschinen” zur Diskussion stellten, überholt? Für die beiden Franzosen ergab sich aus der Kritik an traditionellen philosophischen und psychoanalytischen Perspektiven eine Aufwertung ästhetischer Kreativität, die sie mit den Eigenarten der Schizophrenie in Verbindung brachten. Die Rede ist da von Kopplungen und Entkopplungen, die ohne subjektive Kontrolle vonstatten gehen und die Fähigkeit zur Bildung komplexer Netzstrukturen beinhalten – bis hin zur subversiven Figur der „Fluchtlinien”.
Henning Schmidgen konzentriert sich bei seiner gut lesbaren und grundlegenden Neuaufnahme dieses Ansatzes vor allem auf den Theoretiker Felix Guattari. Er kann heute im Überblick feststellen, daß sich seit dessen Auftauchen kaum jemand mit den „Wunschmaschinen” sorgfältig auseinandergesetzt hat. Deshalb arbeitet er zunächst die psychoanalytischen Voraussetzungen des Guattarischen Maschinenbegriffs, anhand von Texten seines Lehranalytikers Jacques Lacan heraus. Von dessen Versuch, aufbauend auf einer mechanistischen Logik verketteter symbolischer Elemente das Unbewußte zu verstehen, setzt sich Guattari vielleicht entscheidend in dem Moment ab, wo er beginnt ein Tonbandgerät in einer analytischen Situation zu verwenden, und dessen eigenständige symbolische Funktion beobachtet.
Es eröffnet sich davon ausgehend die Möglichkeit, die entfesselten Triebkräfte des Kapitalismus und das darin verdrängte Freiheitspotential unter Verzicht auf ein überkommen essentialistisches Menschenbild zu erfassen. Sicher steht er damit nicht allein im Frankreich des „Poststrukturalismus”, aber im Unterschied etwa auch zu Deleuze läßt sich der Ansatz Guattaris nicht zur elitären Philosophie verklären. Um so mehr dürften sich seine im Alleingang geschriebenen Bücher, die bedauerlicherweise noch kaum ins Deutsche übersetzt wurden, zur Flucht aus den immer wiederauferstehenden Formationen hemmender Denk- und Verhaltensmuster eignen.

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Michael Hauffen

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