Text

Das Unbehagen im öffentlichen Raum


Die Ausbreitung von Kunst im „nicht-institutionellen Raum" [1] ist nicht aufzuhalten. Eine Bewegung, die dem normativen System des white cube entkommen will, scheint mit verschiedenen Interessen an einer Belebung der Öffentlichkeit, die zu verfallen droht, eine produktive Verbindung eingegangen zu sein. Dabei werden die Konflikte, die in dem neu entstandenen Feld zur Debatte stehen, immer vielfältiger. Die Einlösung einer alten Forderung, daß die Kunst dem gewöhnlichen Dasein zurückerstatten soll was sie ihm zuvor entzogen hat, scheint ein Stück näher gerückt zu sein. Aber auch wenn Bezeichnungen wie „Soziale Plastik", also die explizite Bezugnahme auf jenen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der sich im engeren Rahmen des Betriebssystems nicht artikuliert, im Kunstdiskurs immer selbstverständlicher werden, tragen doch bisher eher unterschätzte soziale Mechanismen sowie die Verschärfung der politischen Gesamtsituation dazu bei, daß anstelle einer Überwindung der fraglichen Trennung nur deren Verschiebung stattfindet, wenn nicht sogar unter der Hand die Kluft größer zu werden droht.
Auch die Ausbruchsimpulse der Kunst bekommen durch eine partielle neue Offenheit an dieser Stelle einen anderen Wert. Grund genug sich mit einer Reihe von gerade erschienenen Publikationen und laufenden Projekten zu befassen, die das Versprechen beinhalten, ein umfassendes Bild der aktuellen Lage zu vermitteln.
„Zur Sache Kunst am Bau. Ein Handbuch" [2] greift das Thema Kunst und Öffentlichkeit an der systematischen Stelle auf, wo einschlägige Erfahrungen mit korporatistischen Strukturen und dekorativer Harmlosigkeit nach wie vor skeptisch stimmen. Aber im Gegensatz zu Einweihungszeremonien, die sich damit begnügen „Das Ende der Trennung!" [3] zu verkünden und damit einem elitären Idealismus huldigen, sind in diesem Band vor allem kritische Stimmen versammelt. Die ca. 35 Experten, die sich in jeweils kurzen Beiträgen äußern, bilden zwar keine homogene Gruppe, aber gerade deshalb dürfte ein solches diskursives Feld gut geeignet sein, starre Strukturen zu beleuchten und zu beleben. Eine selbstbewußte (Gegen-)Öffentlichkeit, die der Willkür staatlicher Selbstbestätigung gegenüber autonom bleibt, kann ein Kreis professioneller Beobachter zwar nicht ersetzen, aber er kann stellvertretend die Konsequenzen aus größeren Erfahrungszusammenhängen ziehen. Das gilt etwa in Österreich für die Anti-AKW-Bewegung und den AKH-Skandal, politischen Konfliktzonen, deren Geschichtsverlauf nicht nur peripher durch den Einsatz kultureller Instrumente bestimmt wurde. Die Architektur als Realisierungsinstrument städtischer Raumordnung agiert dabei an vorderster Front, und vom Standpunkt der Interessen, die durch diese Ordnung bereits marginalisiert werden, kann die Kunst am Bau - auch wenn sie versuchen sollte, sich auf sie zu beziehen - wenig mehr als eine beschönigende Funktion erfüllen. Diskreditiert dürfte dadurch jedoch nicht so sehr die Kunst selbst werden, als die Art von Zusammenhängen bzw. Formaten, an denen sich KünstlerInnen glauben orientieren zu müssen.
Das Problem ist allerdings kein oberflächliches, denn es fragt sich, inwieweit eine routiniert eingespielte künstlerische Autonomie per se machtkonforme Abgrenzungs- und Sicherheitsideale affirmiert, die sich in der „Metro-Polis" - als Polizei vergegenständlichen. Jochen Becker formuliert diesen Verdacht, wenn er die Aufstellung von Polizeicontainern in der Frankfurter Zeil mit einem temporären Ausstellungsprojekt im letzten Jahr konfrontiert, das nicht nur den selben Raum bespielte, sondern auch vom selben gewerblichen Interessensverband unterstützt worden war, der die Aufstellung der Kontrollstationen im öffentlichen Raum forderte. Ist ein Künstlertum, das an damit kompatiblen Begriffen und Mythen festhält, noch zu der Bewegung fähig, die den Rahmen von Profitdenken und Risikoabwehr verläßt?
Generell kann man feststellen, daß die Struktur, die der öffentliche Raum, - einschließlich seiner zunehmend an Bedeutung gewinnenden medialen und telematischen Transformation - inzwischen aufweist, die Rede von ihrem demokratischen Potential immer mehr als verzweifelte bzw. zynische Beschwörung erscheinen läßt. Zu dieser These, bezogen vor allem auf die aktuelle Entwicklung der Innenstädte liefert Klaus Ronneberger seit einiger Zeit eine Fülle von Belegmaterial. Eine schleichende Privatisierung ermöglicht hier die Einschränkung bisheriger Grundrechte des freien Aufenthalts im öffentlichen Raum durch seine Neudefinition als städtisches und privates Betriebsgelände. Das Interesse an einem konsumfreundlichen Klima bewaffnet sich im Zuge dessen mit privaten Wachmannschaften, Sondererlassen und Absperrtechnologien. Wenn Kunst in diesem Zusammenhang nicht die Rolle spielen will, den Mythos des Warenkonsums als einzig möglicher Form erfüllten Lebens zu verkörpern, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich nach anderen Artikulationsebenen umzusehen.
Der Band „Ortsbezug: Konstruktion oder Prozeß" [4], in dem auch Ronneberger mit einem Beitrag [5] vertreten ist, nimmt davon ausgehend einige prominente Projekte unter die Lupe. Gemeinsamer Bezugspunkt ist in etwa das avantgardistische Konzept einer kontextkritisch erweiterten „site specifity" und der Anspruch, sich von konventionellen Konzepten spektakulärer und hermetischer Kunst abzusetzen.
In den USA ist die neokonservative Variante schicken Kulturdesigns besonders mächtig - beispielsweise beziffert sich die Summe, die dort in den letzten 10 Jahren für Museumsbauten aufgewendet wurde auf 5 Milliarden Dollar [6] - und so erscheint es als Erfolg intellektueller Opposition und demokratischer Öffentlichkeit, wenn trotzdem die Förderung und Entwicklung sozialkritischer Aktivitäten im Kunstkontext zu verzeichnen ist. Das Projekt „culture in action"(1992, Chicago) steht exemplarisch für eine „New Genre Public Art" deren erklärtes Ziel es ist, Gruppen, die in der Regel den kulturellen Ausschlußmechanismen zum Opfer fallen, nicht nur zum Gegenstand, sondern zum bevorzugten Interaktionspartner künstlerisch autorisierter Programme zu machen. Der Ortsbezug, ursprünglich mit der Intention verbunden, Kunst in die konkrete Umgebung und damit in komplexe physische Wahrnehmungszusammenhänge zu integrieren, hat sich somit auf sozial produzierte Problemzonen ausgedehnt. Die Schranken einer auch symbolisch segmentierten Realität lassen sich allerdings nur schwer überbrücken. Wie die profilierte Kritikerin des Projekts, Miwon Kwon, zu bedenken gibt [7], droht unter den vorliegenden Umständen Kunst in die Rolle eines Legitimationsinstruments für schlechte soziale Verhältnisse zu geraten. Mehrfach kann die Vermutung belegt werden, daß sich unter dem gutklingenden Programm avantgardistischer Experimente herrschaftskonforme Normen von Sozialarbeit, wenn nicht sogar viktorianische Erziehungstechniken einschleichen, die darauf hinauslaufen die Verantwortung für soziales und materielles Elend den Opfern struktureller Ausgrenzungen selbst zu übertragen. Die durch das Projekt initiierten Entwicklungen „vor Ort" sind zudem wieder verebbt. Was bleibt, ist daher nur die gut dokumentierte Erfahrung von der Schwierigkeit auf dem begangenen Weg eine grundlegend neue Kunstebene zu etablieren.
Für vergleichbare Programme in Hamburg und den Niederlanden, die der Band ebenfalls ausführlich dokumentiert, gelten insofern andere Bedingungen, als die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, räumlich und zeitlich gleichmäßiger verteilt sind. Die relative Stärke demokratischer Traditionen zeigt sich in der breiteren Akzeptanz ästhetischer Produktion auf zeitgenössischem Niveau. So können und konnten sich KünstlerInnen längerfristig und kontinuierlich mit einer anderen Arbeitsweise vertraut machen. Ein Interview mit Jouke Kleerebezem und Maarten de Reus [8] führt die Möglichkeit solider künstlerischer Professionalität vor Augen, die sich bewußter Selbstbeschränkung unterwirft, um so eine relative Bewegungsfreiheit aufrechtzuerhalten. Kunst und Öffentlichkeit gehen hier eine enge Verbindung im Sinne traditioneller bürgerlicher Werte ein, wie engagierte Partizipation, öffentliche Kommunikation von Meinungen und Integration von Konfliktträgern, was durchaus attraktive Aspekte hat. Die Hamburger Situation ist durch eine Fotodokumentation von Cathy Skene zum Projekt „Park Fiction" im Buch vertreten [9]. Dessen Initiative ging anfangs nicht von den KünstlerInnen aus, sondern wurde von ihnen nur aufgegriffen und mitgetragen. Unter anderem auch die bislang anhaltende politische Brisanz, die der Kampf um die letzte Wiese mit Blick auf die Elbe in St. Pauli beinhaltet, erhob das Projekt in den Status eines Kultobjekts.
In Salzburg unternahm eine Kulturinitiative den engagierten Versuch, diese nach wie vor spannende Problematik aufzugreifen, und dabei experimentell neue Wege zu beschreiten [10]. Ausgewählt für ein ortsspezifisches Projekt wurde der Stadtteil Lehen, der im Abseits des Touristenstroms auf engem Raum 17.000 Menschen beherbergt. Mit Luc Deleu, Andreas Siekmann, Marion von Osten und Cathy Skene wurden überregional einschlägig bekannte KünstlerInnen hinzugezogen, und die lange Vorbereitungsphase gab allen Beteiligten die Möglichkeit, sich gründlich mit der Situation vor Ort vertraut zu machen. Im Ergebnis kann man jedoch nicht von gelungener Überwindung der bekannten Hindernisse sprechen.
Für Luc Deleu, der mit großen Schildern um eine autofreie Zeit in der vielbefahrenen Hauptstraße bittet, läßt sich ein Ortsbezug ausmachen, der wenn auch skeptisch und zögernd von EinwohnerInnen aufgegriffen wurde. Die Wirkung verbleibt aber auf der Ebene von Bürgerprotest, nebst politisch-journalistischen Schlachten. Andreas Siekmann installierte Baustellendurchgänge, als Hinweis auf die Verbindung von verkehrspolitischer Situation und den Leerstand von Ladenlokalen. Kryptische Textelemente und weiße Signalfarbe stellten seine subjektive Antwort auf zunehmende Überwachung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums dar. Wenn die übrigen KünstlerInnen weniger spektakulär arbeiteten, dann lag das nicht an einer Zurücknahme ihres KünstlerInnenprivilegs zugunsten einer Kooperation mit lokalen Aktivitäten. Die Beteiligung einer Reihe von Schulklassen blieb denn auch weitgehend isoliert, während die Kunst im öffentlichen Raum oder in den involvierten Instituten vor allem ihrer eigenen Logik folgte. Für die übrigen BürgerInnen wurde ein Straßenfest mit Hüpfburg arrangiert.
Die konzeptuelle Unklarheit, die sich hier manifestiert, liefert denn auch eine Erklärung dafür, warum die Publikation zum Salzburger Ereignis [11] den Schwerpunkt auf eine kunstbetriebsexterne Thematisierung des öffentlichen Raums legt. Neben dem schon erwähnten Text von Ronneberger stehen der Erfahrungsbericht eines nonkonformen Sozialarbeiters oder der Text einer Soziologin über „Kriminalitätsfurcht und Stadtnutzung von Frauen". Aus deren Warte ist ein selbstreferentielles Kunstsystem, auch wenn es seinen Gegenstandsbereich in marginalisierte Zonen verlegt, wenig wert. Für KünstlerInnen, die diese Kluft überbrücken wollen, bedeutet das, daß sie zwischen zwei Fronten stehen. Doug Ashford [12] bringt den inneren Konflikt durch einen schillernden Text zum Ausdruck. Er skizziert als eine Art Alter Ego eine Romanfigur, den Künstler-Stadtstreicher „M-", der das Geschehen zunehmender Ausgrenzung verfolgt und dokumentiert. Und er benennt objektive Gründe, warum die Existenz der Figur besser in einem melancholischen Konjunktiv verharrt.
Florian Pumhösl verfolgt eine sinnverwandt institutionskritische Linie, wenn er seine Teilnahme benutzt, um das Format „Ausstellung" vor allem in einem Textbuch distanziert medienkritisch zu analysieren. [13] Die Suche nach einer neuen Ebene kontextspezifischer ästhetischer Praxis hat damit allerdings wieder jenes abstrakt medienkritische Niveau erreicht, das mit der zeitgemäßen Norm allgemeiner Verfügbarkeit so gut harmoniert. Bei Cathy Skene, deren Arbeiten ebenfalls nur sehr abstrakt an lokale Gegebenheiten (nationale Tendenzen in der Mode) anknüpfen, muß ihre Anwesenheit in Salzburg um so mehr wie ein reiner Image-Transfer erscheinen, als ihr guter Ruf wesentlich auf einer dieser Logik konträren Praxis beruht.
In seinem die Publikation beschließenden Text bringt Stephan Gregory die ästhetisch-philosophische Verklärung, die den gehobenen Nomadismus zu begleiten pflegt, so prägnant wie witzig auf den Boden ihrer kapitalistischen Ursachen [14]. Leicht drängt sich da der Eindruck auf, daß all die neuen Kunstströmungen vor allem hohle Phrasen illustrieren. Die Produktion von Kunst wird sich davon nicht aufhalten lassen. Und es wird deshalb weiterhin darum gehen, affektive Ereignisherde zu erzeugen und die rigiden Verhärtungen im sozialen Kontext zu transzendieren. Zur Überprüfung der Frage, ob das auch im öffentlichen Raum weiterhin möglich ist, wird man in naher und ferner Zukunft noch viele Gelegenheiten haben.


[1] diese Formulierung schlägt Claudia Büttner vor, um eine Abgrenzung von der musealen Öffentlichkeit zu ermöglichen, in: Claudia Büttner, Art goes public, Verlag Silke Schreiber, München 1997
[2] Zur Sache Kunst am Bau, Ein Handbuch, hg. von Markus Weiland und Vitus H. Weh, Wien Triton 1998
[3] So der Untertitel der Ausstellung „Kunst, verbaut", die am 6. Mai 1998 im K/Haus, Wien eröffnet wurde. Vollständiger Untertitel: „Kunst am Bau. Die 90er. Das Ende der Trennung!" (Katalog)
[4] „Ortsbezug: Konstruktion oder Prozeß", hg. von Hedwig Saxenhuber, Georg Schöllhammer und O.K Centrum für Gegenwartskunst Linz , edition selene Wien, 1998
[5] a.a.O., S. 9
[6] Doug Ashford in: Helmut Draxler (Hg.), Öffentlicher Raum Salzburg Lehen, Verlag Anton Pustet, Salzburg 1998 S. 110
[7] Miwon Kwon, Ein Ort nach dem anderen, Bemerkungen zur site specifity, Saxenhuber/Schöllhammer (Hg.), S. 17f.
[8] a.a.O., S. 113
[9] Das Konzept wurde zusammen mit Christoph Schäfer entwickelt
[10] Hildegund Amanshauser, in: Öffentlicher Raum Salzburg Lehen, a.a.O., Einleitung
[11] Helmut Draxler (Hg.),Öffentlicher Raum Salzburg Lehen
[12] a.a.O.
[13] Montage 2: Covering the room, 8 Ausstellungsflächen, hg. von Matthias Dusini und Florian Pumhösl, Katalog Salzburger Kunstverein 1998
[14] Draxler (Hg.), a.a.O., S. 139

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Michael Hauffen

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