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Der gekrümmte Raum der Kunst


Als Künstler über sein eigenes Tun und das des Publikums in kritischer Weise nachzudenken, wird tendenziell als Spielverderben zurückgewiesen, spätestens dann, wenn es als Bestandteil künstlerischer Praxis gelten will. (Sogar Duchamp war es angesichts der Behauptung eines Interviewers, er hätte sich im Lauf der Zeit von einem Maler zu einem Philosophen entwickelt, offensichtlich nicht ganz wohl). Andererseits richten sich periodisch Erwartungen bezüglich neuer Formen und Inhalte an die Kunst, die etwa als Moden einen fast zynischen Willkürcharakter in ihren Konkretionen aufweisen, so daß man vermuten könnte, es ginge auch in den Beispielen radikalster Umwälzungen nur um das Sakrileg als solchen, ungeachtet der Intentionen dabei mitspielender Akteure. Als undenkbar erscheint aber dem genuinen Künstler die radikale Infragestellung der Kunst überhaupt, würde er doch damit seine eigene Existenzberechtgung in Frage stellen. In entsprechender Form gilt dies alles auch für das Kunstpublikum. Damit sind der Erwartung, Politik in die Kunst bringen zu können, enge strukturelle Grenzen gesetzt, die aber ihrerseits nur als politische Grenzen verstanden werden können.

Deren Wirksamkeit ist umso verlässlicher, als es dabei um die relativ subtilen Formen der Bewertung geht, die in jedem sozialen Handeln eine mehr oder weniger zwingende Rolle spielen, in der Kunst aber einen ihrer hervorragenden Orte haben, weil hier das für politisches Denken wesentliche Prinzip, individuelle Erfahrungen zu verallgemeinern, von spontanen Geschmacksurteilen verdrängt wird. Kunst, so die These, die hier auseinandergesetzt werden soll, bedeutet gerade eine Strategie der Verkennung politischer Ansprüche, und ist deshalb in der bürgerlichen Kultur gut verankert. Dem entgegen stehen Vorstellungen von „Gegenkultur”, „Politisierung der Kunst” und „subversiver Ästhetik”, die zumeist eher vagen Hoffnungen als Träger dienen, und deren Geschichte seit der Studentenbewegung auch eine Geschichte von Enttäuschungen ist, die zu analysieren sinnvoll scheint.

Über die bequeme Feststellung hinaus, daß zwischen der Bevorzugung bestimmter Formen von Kultur und politischen Positionen einerseits, und materiellen Interessen andererseits, ein Zusammenhang besteht, der sich oft durch beschönigende Formulierungen bemäntelt, wirft die Soziologie Bourdieus ein neues Licht auf den Sachverhalt, das den Anspruch erfüllt, die dabei zumeist mitspielenden Ressentiments weniger zu befriedigen, als zu erklären. Dies wird möglich durch die Einbeziehung des „symbolischen Kapitals” in die Analyse der Handlungszwänge, denen die Akteure unterliegen. Die Profite um die im Feld der Kultur, also des Wissens, der Meinungen, der Schönheit, gekämpft wird, sind nicht auf materiellen Gewinn zu reduzieren, sondern als Profite symbolischer Art zu klassifizieren. (Eine dritte Hauptart von Kapital, das soziale der „Beziehungen” usw., klammere ich hier aus.) Damit wird der verbreiteten Tatsache Rechnung getragen, daß ein Individuum sich sehr wohl zurecht als erfolgreich betrachten kann, wenn es zwar materiell opfert, aber an symbolischem Rang gewinnt. Allerdings sind die Werte, um deren Aneignung hierbei gekämpft wird, auch noch Gegenstand von Auseinandersetzungen über ihren jeweiligen Rang. Der Konkurrenz zwischen Bildungskapital und jenem Kapital an kulturellen Werten, die durch Familie und Klasse eines Individuums gepflegt und vermittelt werden, kommt dabei die vielleicht größte Bedeutung zu. Die „feine” (Avantgarde-)Kunst spielt ihre Rolle traditionell auf seiten der Fraktionen in den verschiedenen Schichten, die sich dem Vorrang des Bildungskapitals widersetzen, und dient also z.B. auch einer großbürgerlichen „Gegenkultur”, die sich gegen das Eindringen der (Schul-)Bildungstitel in die obersten Ränge durch „distinguiertere” Kriterien zu schützen sucht. Daraus resultiert eine Nachfrage an die Kunst als Mittel für diesen Kampf: sowohl die entsprechende Vertrautheit, als auch die Legitimität der sie schmückenden Welt herzustellen. Wobei auf seiten der Großbürger Geld, Glanz und Gloria, auf seiten der Künstler Ideen angeboten werden.

In der Betonung des zweckfreien Charakters dieses Spiels wird vor allem unterschlagen, daß es sich um Versuche handelt, Unterscheidungen zu verteidigen, also z.B. Normen zu befestigen, die darüber bestimmen, wer legitim etwas zu sagen hat, und wer nicht. Dieser Sachverhalt wird verborgen hinter Euphemismen wie dem, daß man froh ist, sich nicht unbeholfen an schulisches Wissen klammern zu müssen, was peinlich wäre, sondern sich auf seine Selbstsicherheit etwas zugute halten kann, die man z.B. aus dem Gefühl schöpft, mit dem Reich der Kunst, einer hohen und reinen, geistigen Welt in leidenschaftlichem Kontakt zu stehen. Diese Form der Durchsetzung von Positionen durch eine Strategie der Verkennung und Ausschließung ist für die Konstitution der Kunst als autonomem Bereich wesentlich, wobei sich dieser Ausschlußcharakter gerade durch die Auseinandersetzungen darüber, was legitimerweise Kunst ist, immer wieder reproduziert, einschließlich der Hierarchie der legitimen Objekte innerhalb dieses Bereichs. Da sich die Aufmerksamkeit vorrangig auf Form- bzw. Stilfragen richtet, erfahren die vorgebrachten Inhalte, die dabei auftreten, von in dem Maß eine Abwertung, wie sie in diesen Raum überführt werden. Was nicht unbedingt zu der radikalen Ablehnung jeglicher Inhalte führen muß (z.B. „reine Malerei”), sondern sich genauso in der Beliebigkeit von deren Behandlung, wie in deren nur vorübergehender, und damit eigentlich von vorneherein vorübergegangener Beachtung als Modethema ausdrücken kann. Um zusammenzufassen: Der Verdacht entsteht, daß auch extreme Positionen im Feld der Kunst, wegen der dort praktizierten Absehung vom Inhalt, als in einem harmonischen Zusammenhang mit einer konservativen Gesellschaftsordnung, die ihre Asymmetrie wesenlich über Stilfragen reproduziert, gesehen werden müssen.

Deutlich wird das vor allem am weitgehenden Ausschluß der unteren Klasse aus dem Spiel der Kunst, bzw. der unreflektierten Herablassung, die mit einem Einbezug der Massen verbunden ist, und von diesen immer schon als Entfremdung erfahren werden muß. (z.B. Volkskultur, Populismus). Umgekehrt ist für den durchschnittlichen (armen) Künstler vor allem das Urteil des Großbürgers wichtig, da jener über den Zugang zu den materiellen Mitteln, ohne die vor allem die Avantgarde nicht existieren würde, weder direkt noch indirekt verfügt. Es soll hier nicht irgendeinem Ressentiment (z.B. für stark krisengeplagte Kleinbürgerschichten wäre das typisch) entsprochen werden. Festzuhalten ist aber, daß diese Zusammenhänge sich im Kopf eines Künstlers nur äußerst selten zu einem klaren Blick auf die Relationen von Mitteln und Zielen verdichten, sondern gemäß der eher den Zügen der Kindheit verwandten Rolle des Künstlers in Ideen wie der des „subversiven Potentials” der Kunst als in undurchschauten Vorstellungen und Wünschen zusammenfließen. Entsprechend werden die Kunstwerke in einem seine Zusammenhänge durch naiv-unschuldiges Gefallen verkennenden Erleben auch konsumiert.

Im Gegensatz zu den Vorstellungen von fundamentaler oder radikaler Gesellschaftskritik, denen die Akteure von unten in die Szene eindringender Künstlergruppen gezwungenermaßen anhängen, scheint es sich dabei eher um bestimmte, relativ kleine, kritischen Bedingungen ausgesetzte Außenseiterfraktionen von Eignern symbolischen Kapitals zu handeln, die sich zur Bestätigung ihrer Sonderstellung mit extremen labels identifizieren, und dabei im Sinne ihrer überdurchschnittlichen symbolischen Fähigkeiten, ihre Interessenslage nicht nur verallgemeinern, sondern die derart verallgemeinerte Sichtweise auch plausibel machen können.

Wenn man symbolisches Kapital als sozialen Machtfaktor gelten läßt, folgt daraus die Notwendigkeit der Analyse auch der von Künstlern und Intellektuellen ins Feld geführten Potentiale im Verhältnis zu den jeweiligen Bedingungen, die diesen von den entsprechenden Märkten auferlegt werden. Die unsichtbaren Kraftlinien auf diesen Märkten, werden durch die ungleichen Zugangsbedingungen zu den Produkten, sowie zu den Mitteln, sie als legitime Produkte darzustellen oder durchzusetzen, immer wieder als faktische Ungleichheit reproduziert, auch wenn relative Verschiebungen (wie z.B. in Folge des gewachsenen Kulturmarktes eine Abwertung der kulturellen Kompetenzen) stattfinden. Beispielsweise wird im Gegensatz zu einem erfolgreichen Künstler eine ungelernte Arbeiterin niemals in der Lage sein, die Regeln, nach denen z.B. im Fernsehen in einer talkshow Gegenstände, Sprachformen oder Gesten gut ankommen, mitzubestimmen, sondern allenfalls versuchen können, sich ihnen anzupassen, oder auf die Herablassung der dortigen legitimen Akteure hoffen müssen, und deshalb, auch bei sich selbst, den Eindruck hinterlassen, daß sie ungeschickt sei, während eine A-priori-Selbstsicherheit in der Regel das Gefühl der eigenen Überlegenheit, bis zu einer Art Gottähnlichkeit, wird genießen und in Form von ihrem Publikum beigebrachten modifizierten Wertungen auch wird ausstrahlen können.

Aufgrund des habituellen Charakters, als den sich die Handlungsmuster bei den Akteuren über mehrere Generationen hinweg ausgebildet haben, oder, da es sich anders ausgedrückt vorwiegend um inkorporiertes Kapital handelt, erscheint dem Künstler sein Geschmack und die Fahigkeit ihm gemäße ästhetische Produkte hervorzubringen als quasi angeborene Eigenschaft, als substantiell oder natürlich. Sein Blick – und mutatis mutandis der seines Publikums – richtet sich nicht so sehr auf die davon bewirkte Tatsache der Etablierung seiner selbst als höherstehendem Menschen, sondern ausschließlich auf die Mitakteure ähnlichen Rangs und deren Äußerungen, von denen er sich abgrenzt. Die Positionen seiner Gegenspieler dienen ihm als Widerstände, an denen er sich selbst sein ihm gemäßes Profil geben kann. Entsprechend ist für ihn das Gefühl der Notwendigkeit seine Ideen vom richtigen Leben in Form symbolischer Akte zu vertreten, existentiell, und die Zurückweisung derselben als notwendiger (wie sie etwa Wittgenstein mit Leidenschaft betrieben hat) muß ihm konsequenterweise fremder vorkommen als die im Spiel relevante Gegenposition, auf die er sich (z.B. als „Linksintellektueller” auf einen „Rechtsintellektuellen”) bezieht.

Ein wesentlicher Teil dessen, was für spontan, natürlich oder für einen Ausdruck der Freiheit und Inividualität von Künstlern gehalten wird, muß also als unbewußt einem spezifischen Feld von Handlungserfordernissen eingepaßte Disposition aufgefaßt, als determiniert, und zugleich gegen die Erkenntnis dieser Determiniertheit gerichtet, verstanden werden. Hoffnung begründet sich nur aus der Tatsache, daß der Prozess des Zustandekommens dieser Strukturen heute Wechselwirkungen zwischen einer Vielzahl von Determinanten darstellt, also überdeterminiert und damit nicht nur unkontrollierbar, sondern auch potentiell struktursprengend (revolutionär) ist. Die Arbeit der Künstler besteht wesentlich darin, auf der quasi alchemischen Ebene des Geschmacks in Form einer Art sozialer Magie mitzumischen. Fraglich ist allerdings, ob die Wirkung ihrer Interventionen nach rein künstlerischen Kriterien auch angemessen beurteilt werden kann in Hinblick auf die heimliche und subtile Gewaltsamkeit der von ihnen gehandhabten symbolischen Macht selbst, die ja auch in den Theorien so vieler Philosophen aus der Analyse der ästhetischen Einzel-Erfahrung nicht begreifbar wird.

Zumindest könnte die Aufmerksamkeit für jene unscheinbaren Details geschärft werden, die so viel bewirken, wo es um die Beurteilung von Subjekten, Handlungen oder Produkten geht, die ästhetisch rezipiert werden, wo z.B. ein bestimmtes Augenzwinkern oder eine Höflichkeitsformel – im richtigen Moment, Ton, Jargon ausgesprochen – positiv oder negativ beurteilen, und dabei die angewandten Kriterien im Dunkeln lassen, bzw. als Selbstverständlichkeiten der Reflexion entziehen (was sozusagen die „Elementarform” des Rassismus darstellt).

Entgegen dem Trend der zunehmenden Spezialisierung der mit Kunst befaßten Produzenten ( Kunstkritiker, Kuratoren, Galeristen, Sammler, usw.) werden regelmäßig auch Ansätze zur „illegitimen” Aneignung und Verschmelzung mehrerer Kompetenzen gemacht, z.B. Künstlerphilosophen oder Autorengalerien. Wenn hier in diesem Sinne eine (zweifellos stark verfeinerungsbedürftige) Soziologie als Teilstrategie künstlerischer Arbeit auftaucht, oder umgekehrt Kunst als Raum der Erkenntnis subtiler politischer Macht erwogen wird, darf nicht vergessen werden, daß dieser Text, sowie sein Autor und seine Leser, Teil des analysierten Spiels sind, insofern hierbei genau das praktiziert wird, was für Künstler und Intellektuelle existenznotwendig ist: nämlich die Produktion eines neuen Themas und die Provokation ihm günstiger Fronten. Möglicherweise – und wie ließe sich der Verdacht auflösen, daß er mit dieser Intention geschrieben wurde – verhilft dann dieser Text, der sich an der Dekonstruktion des Mythos vom Künstler versucht, aufgrund der dem Feld der Kunst eigenen, unsichtbaren „Ablenkungsenergie” nur zur Konstruktion einer neuen Kunst-Position; – gemäß der Regel, daß ein Sakrileg vor allem die Existenz des Sakralen bestätigt.

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Michael Hauffen

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