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Pierre Huyghe - Some Negotiations


Angesichts der exponentialen Begeisterungskurve, auf der die globale Gesellschaft dem virtuellen Leben entgegenjagt, scheint die Filmkunst endgültig in die Position einer antiken Disziplin einzurücken, und vor allem nostalgische Blicke auf sich zu ziehen. Der Charme, den heute im Zuge dieser Entwicklungen zurückgefallene Produktionsweisen, wie der bundesrepublikanische Autorenfilm oder die Tradition der Nouvelle Vague auf bildende KünstlerInnen ausüben, dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass hier die technischen und organisatorischen Produktionsbedingungen noch leicht genug durchschaubar sind, um die Vorstellung individueller Regie zuzulassen. Vor allem die neu aufgekommene Vorliebe für Schmalfilmprojektionen bestätigt das. Als weitere Faktoren dürften Qualitäten wie die Kompatibilität von Film- und Clubkultur, die wiederentdeckte Anziehungskraft kollektiver Herstellungprozesse oder die Flucht vor ermüdenden Neuauflagen traditioneller Bildkunst hinzukommen.
Auf Pierre Huyghe scheint das zunächst alles zusammen zuzutreffen, bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, dass sich hinter seiner Bezugnahme auf einen jungen Trend ein Ansatz verbirgt, der eher an die Concept Art anknüpft.
Eines seiner ersten im deutschsprachigen Raum bekannt gewordenen Projekte war das „Remake” (so auch der Titel der Arbeit) des Hitchcock-Films „Rear Window”, in dem er zu Hause und mit einfachsten Mitteln den gesamten Film Szene für Szene nachgespielt, und damit den Wunsch jedes Zuschauers, selbst im Film zu sein, stellvertretend erfüllt hat. Hinter diesem Wunsch verbirgt sich aber eine kommunikative Struktur, ohne die Filmerzählungen ihre kulturelle Macht gar nicht entfalten könnten. Einen Schritt weiter in Richtung Sondierung dieses hinter der Macht des Narrativen verborgenen Netzwerks von geschlossenen Systemen und Interferenzen ging er mit der Videoinstallation „L’Ellipse”, in der er den Handlungsablauf eines Klassikers von Wim Wenders („Der amerikanische Freund”) an Stellen, die die Filmhandlung übersprungen hat, an ’”Zeitlöchern” wie Huyghe sie nennt, noch um weitere narrative Linien ergänzt, womit er also die subjektive Konstruktionsleistung, die der Zuschauer vollbringt, in ihrer rekursiven Unabschliessbarkeit zum Ausdruck brachte. Huyghe nennt diese imaginären Schleifen „connective images”, und betont damit ihren Anschlusscharakter.
In der Ausstellung im Münchner Kunstverein finden sich vor allem neuere Stücke, die neben den subjektiven Strukturen auch objektive Gefüge, also die technischen und praktischen Zusammenhänge präzise in den Blick rücken.
In „Multiversions Language” (1997) werden drei Versionen eines klassischen Filmdramas von 1929 mit dem Titel „Atlantic” als Triptychon nebeneinander projiziert. Die erst mit dem Tonfilm aufgekommene Problematik der Sprachbarrieren wurde damals auf eine Weise gelöst, die als Vorläufer der Synchronisationstechnik anzusehen ist. Jede Szene wurde in seinem Filmset, aber mit einer anderen Gruppe von DarstellerInnen in der jeweiligen Sprache wiederholt. So bleibt zwar die narrative Figur gleich, doch die Details, die sie konkretisieren, variieren entsprechend länderspezifischer Eigenarten. Die Differenz zwischen drei Sprachstrukturen bewirkt so beispielsweise eine unterschiedliche Länge der einzelnen Szenen, aber die daraus resultierende zeitliche Verschiebung ist nur die Spitze eines Eisbergs weiterer Differenzen, die in Form vieler kleiner Abweichungen dem Prozess gesellschaftlicher Repräsentation zugrunde liegen.
Auf diese fundamentale Unruhe, beziehungsweise auf das in ihr verborgene Potential will Huyghe vor allem unsere Aufmerksamkeit lenken. Am deutlichsten wird das vielleicht in der Videoinstallation „Dubbing” (1996), die den Blick noch konzentrierter auf die Übergänge zwischen Sprache, Bild und Geschichte lenkt. In Grossprojektion wird eine Gruppe von Personen gezeigt, die einen Film synchronisieren. Deren Blick ist auf eine nicht sichtbare Leinwand gerichtet, wo sie einer uns unbekannten Handlung folgen, um ihre „Einsätze” nicht zu verpassen. Sie begleiten ihre jeweiligen Beiträge mit zum Teil exaltierten Gesten, die aber nur den Zweck haben, ihre „Performanz” zu optimieren. Diese Gesten, wie auch das Bild der Gruppe als Ganzer, die sich ansonsten so ruhig verhält, wie die Leute an einer Bushaltestelle, bleibt somit der eigentlichen Handlung, um die es im synchronisierten Film geht, vollkommen äusserlich. Dem Bruch zwischen realen SynchronsprecherInnen und Filmerzählung korrespondiert ein weiterer Bruch zwischen uns als BetrachterInnen und dem Vorgang der Synchronisation, den wir nur aus einer unten im Bildfeld vorbeilaufenden Textlinie erschliessen können. Diese Sätze, die vermutlich auch für die AkteurInnen in unserem Bild sichtbar sind, müssen für uns das Verbindungsglied der Geschichte ersetzen, rücken den Mechanismus der Übertragung via „Schrift” (im Sinne von Derrida) ins Bewusstsein. Was der Titel der Arbeit auch zum Ausdruck bringt, die Überlagerung verschiedener Strukturen, ohne die die Erzählungen ihre kommunikative Funktion nicht erfüllen könnten, wird hier also in Form eines quasi naturwissenschaftlichen Blicks auf ein Geschehen mehrfachen Transfers gelenkt, in dem der Beobachter allerdings selbst enthalten ist. Seine eigenen Beobachtungen sind Teil der komplexen Prozesse, die jeder Teilnahme an sozialen Systemen zugrundeliegen, aber sie auch mitbestimmen.
Wie Eigentumsverhältnisse in diskursive Formationen einwirken, beobachtet das Video mit dem Titel „Blanche-Neige Lucie” (1997). In der Art eines Dokumentarfilms über eine Frau, die in den 50er Jahren ihre Stimme Disneys französischem Schneewittchen für ein Lied verliehen hat, wird der Rechtsstreit rekonstruiert, den sie führen musste, um die Rechte an ihrer Performanz wiederzugewinnen. Der Blick auf die Produktionsbedingungen künstlerischer Arbeit ist natürlich von dem Wunsch getragen, die verschiedenen Potentiale freizusetzen, die von der Dominanz standardisierter Klischees verdrängt werden. In früheren Projekten mit lokalen Fernsehstationen, wo das Publikum in die Studios gelotst und zu eigenen Beiträgen angeregt wurde, konnte eine davon inspirierte Strategie in grösserem Rahmen getestet werden.
Im Kunstverein wurde Huyghe dagegen in vergleichsweise privater Form aktiv, wenn er eigens für die Ausstellung die Arbeit „Searching for an Unkown Person” realisierte. Für eine simultane Diaprojektion verwendet er dabei als Ausgangspunkt Antonionis Film „Blow Up” (1966). 1999 begibt sich Huyghe an einen der Hauptdrehorte, den Mayon Park in London, und macht dort Aufnahmen, die er in der Installation mit solchen vom aktuellen „Tatort” München verknüpft. Die Montage scheint bruchlos möglich, weil der Münchner Kunstverein und der nahegelegene Englische Garten sowohl Zeitraum als auch nationale Grenze nahtlos überspringen. Die Inszenierung eines rätselhaften Handlungsgeschehens vergegenwärtigt die hermetische Qualität paranoider Wahrnehmung, und begleitet sie in romantischer Tradition mit subtiler Ironie. Die Gewalt bleibt ebenso unsichtbar wie ein Ausweg aus der Eingeschlossenheit in kontrollierte Strukturen, deren Schönheiten daher düster, unklar und bedrohlich wirken. Paradoxerweise kann da das zufällig auftauchende Bild von einem Polizeiauto als Erleichterung erscheinen, weil es die täuschende Oberfläche durchbricht.

Ein Katalog zur Ausstellung ist in Vorbereitung. Er wird im Januar 2000 erscheinen, ca. 200 Seiten haben, und neben durchgehenden Farbabbildungen Texte von Liam Gillick, Laurent Godin, und Philippe Parreno enthalten.

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Michael Hauffen

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