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Ann Veronica Janssens - Work for Space


Nebelmaschinen haben sich als begleitende Maßnahme der Eventkultur bereits seit einiger Zeit etabliert. Einen solchen Bühneneffekt zusammen mit ein paar wirkungsvoll plazierten Scheinwerfern in einen Museumsraum zu transferieren, könnte so banal erscheinen wie viele andere minimalistische Readymades, die sich momentan modischer Accessoires bedienen. Die Frage ist aber, wie derartige Übernahmen im Kunstkontext funktionieren, bzw. ob dabei etwas zur Geltung kommt, das anderswo latent bleibt.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ann Veronica Janssens Installationen stellen sehr wohl ein Ereignis primordialer Qualität dar, und sind nicht nur Verweise, sei es auch auf die besten Momente popkultureller Bewegungen. Immerhin wurde ja das Bühneninstrumentarium schon im Rahmen der Techno-Kultur in den gemeinsamen Aktionsraum aller Beteiligten geholt und entsprach damit dem Wunsch vereinzelter Subjekte nach kollektiver Entgrenzung.
Als entscheidender Unterschied zu diesem Disco-Phänomen fällt jedoch gleich beim Betreten der beiden Nebelinstallationen im Münchner Kunstverein auf, dass sie mangels musikalisch rhythmischer Gegenstücke die BesucherInnen in eine völlig andere Temporalität versetzen. In der Arbeit Représentation d’un corps rond 2 wird die Situation bestimmt von einem sich sehr langsam um die eigene Achse drehenden hohlen Lichtkegel. Dieser ist horizontal gelagert und geht wie der Umriß einer Projektion von einem Punkt aus, der den Eintretenden genau gegenüber liegt. Infolge des Nebels bleibt die Geometrie dieser Lichtskulptur jedoch vage und verstärkt damit die irritierende Blendwirkung bis zu jener Grenze, wo die räumlich-körperliche Wahrnehmung zu kollabieren droht. Dieses Geschehen ist beunruhigend und einnehmend zugleich, es versetzt diejenigen, die sich darauf einlassen, mitten hinein in eine ambivalente Bewegung, die die sicheren Grenzen von Subjekt und Objekt in einem Erleben sensomotorischer Schwankungen zunichte werden lässt.
Die Art, in der sich schwebendes Weiß und gebündeltes Licht durchdringen, beschwört zudem das Motiv der Wolken und seine besondere Rolle in der Geschichte der Malerei herauf. Die Möglichkeit mit dem eigenen Körper in dieses Spiel von Licht und Schatten einzutreten, scheint sogar die Erfüllung der Träume zu sein, die im traditionellen Tafelbild immer nur als Utopie vorgestellt werden können und von der der sogenannte Betrachter räumlich und zeitlich durch eine unüberwindbare Kluft getrennt ist.
In einer zweiten Rauminstallation, 4 Projectors (Test), wo die Nebelmasse durch vier in den Ecken stehende Scheinwerfer zur Skulptur sich kreuzender Lichtebenen wird, fühlt man sich stark an Ausblicke von hohen Bergen oder vom Flugzeug herab erinnert, auch wenn die Strahlen hier unbeweglich bleiben. Aus dem Nebel, in dem man steht, blickt man leicht von oben auf helle Flächen, die schräg im Raum liegen. Aber von verschiedenen Punkten aus betrachtet, scheinen sie bei jedem Wechsel der Blickrichtung und bei jeder Bewegung, die man selbst macht, neue Schichtungsverhältnisse zu bilden, so dass von Ruhe keine Rede sein kann.
Diese bei aller Verzögerung nicht aufhörende Dynamik der Eindrücke, in die man selbst immer involviert ist, verhindert auch, dass das Gefühl von Erhabenheit entstehen kann. Der Drang mit den unbekannten Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die sich im Medium des Nebels ergeben, umzugehen und die Intensität der Schwankungen, denen sie einen unterwerfen, auszuloten, führt zu keiner kontemplativen Haltung, sondern macht neugierig und regt zum Denken an, nicht zuletzt deshalb, weil sich mit dieser Erfahrung poststrukturale theoretische Konzepte geradezu aufdrängen. In dem lesenswerten kleinen Katalog, der zur Ausstellung erschienen ist, entfaltet Mieke Bal eine Reihe von solchen Assoziationsmöglichkeiten, und bezeichnet Janssens‘ Arbeiten dem entsprechend als „theoretische Objekte”.
Eine Reihe weiterer in München gezeigter Arbeiten widerlegen den Verdacht, dass damit exklusive Gedankenschwere verbunden sein muss. Die Videoinstallation Berlin-Barcelona 1999 berührt einen Punkt, wo das Hintersinnige leicht in befreienden Spott umschlagen kann. Auf zwei gegenüberliegenden Videowänden werden simultan die beiden Halbzeiten des im Titel der Arbeit bezeichneten Fussballspiels vorgeführt, dessen Besonderheit darin besteht, dass es bei starkem Nebel ausgetragen wurde. Während also die Konfrontation der einen Halbzeit mit der anderen schon die Zeitordnung dieses alltäglichen Rituals entregelt, vollstreckt dies gewissermaßen nur eine Auflösung, die durch das Naturphänomen bereits stattgefunden hat: der Blick der Fernsehkameras dringt nur noch wenige Meter weit in die Tiefe des Spielfeldes vor, und Analoges gilt auch für die Zuschauer im Stadion und die Spieler, so dass sich nicht nur der Mannschaftsgeist verflüchtigt haben dürfte, während einzelne Spieler etwas verloren aus dem Nebel aufzutauchen scheinen.
Dass auch minimale Konstrukte genügen, um eine ähnlich intensive Irritation auszulösen, beweist die Arbeit mit dem Titel Aquarium. In einem mit Flüssigkeit gefüllten Quader schwebt eine faustgroße Blase. Das Gefäß steht in Augenhöhe auf einem Sockel, und scheint sich dem fetischisierenden Blick geradezu anzubieten. Doch dieser Eindruck zerstreut sich, sobald man bemerkt, dass man sich selbst in der Blase spiegelt. Das Betrachtete spiegelt den Betrachter nicht nur, sondern versetzt sein Double in eine Späre, deren Logik ungewohnten Gesetzen gehorcht. Aus dem banalen Objekt wird ein paradoxes, und erneut findet man sich wieder in einer Situation, deren Homogenität Risse aufweist.
Weitere Arbeiten machen deutlich, dass die Sondierungen, die Janssens vornimmt, ein soziales Gesamtgeschehen im Blick haben. Die Subversion der Konditionierungen, die etwa in der oben angesprochenen Distanzierung zwischen Subjekt und Objekt und in der Trennung zwischen Betrachter und Kunstwerk zum Ausdruck kommen, beschränkt sich nicht auf die museale Institution. Auch wenn die Interventionen im Außenraum eher beiläufig sind, bilden sie zusammenmit den Installationen im Kunstverein ein ausreichend verzweigtes Instrumentarium, um die Allgegenwart von Disziplinierungs- und Kontrollstrukturen auch dort deutlich zu machen, wo sie dem aktivistisch orientierten Blick zu entgehen pflegen. In diesem „dekonstruierenden” Sinn kann dann auch von einer politischen Dimension der Arbeiten gesprochen werden.
In München wurden spezielle Fahrräder angefertigt, deren Vorder- und Hinterräder mit gravierten Radkappen aus Aluminium versehen sind. Das einfallende Licht wird durch die auffälligen silbernen Scheiben in einer Weise zurückgeworfen, dass es sich einer Einordnung in die dreidimensionale Normalität zu widersetzen scheint. Zwei Fahrräder konnten im Kunstverein für kleine Touren ausgeliehen werden und drei weitere wurden von einem privaten Anbieter von Fahrradtouren eingesetzt. In den Genuss der visuellen Irritation kommen dabei allerdings nicht diejenigen, die mit ihnen fahren, sondern diejenigen, deren Wege sie kreuzen.
Die Arbeit Edelweiß verwendet dagegen Postkarten, die an zentralen Stellen der Stadt, wie zum Beispiel dem Rathaus, ausliegen, um einen im Rahmen des Tourismus zum Klischee erstarrten Mythos zu infiltrieren. Die Postkarten zeigen Ölflecken, die direkt vom Asphalt abfotografiert wurden, wo deren Eigenart darin besteht, farbige Lichtreflexionen zu erzeugen, deren kreisförmige Farbschlieren tatsächlich zumeist von einer zackig verlaufenden weißlichen Aura umgeben sind.
Nimmt man die verschiedenen Arbeiten zusammen, dann lässt sich erkennen, dass Janssens‘ modus operandi darin besteht, bestimmte Phänomene aus ganz verschiedenen Blickwinkeln und in verschiedenen Varianten immer wieder neu zu evozieren. Die Einzelwerke erfahren erst durch die überraschenden Wiederholungen in heterogenen Kontexten die Steigerung, die es so spannend werden lässt, nach neuen Querverbindungen zu suchen. Es gelingt ihr so, in ihren Objekten eine Situation der Anomalie einzukreisen, nämlich den stets möglichen Bruch mit dem Bewusstseinskontinuum normaler Rationalität.
Hat man sich einmal das Beobachterschema zu eigen gemacht, in dem die verschiedenen Perspektiven dieser „theoretischen Objekte” gewissermaßen ihren Brennpunkt haben, dann spielt es auch keine Rolle mehr, welche Konnotationen die verwendeten Objekte in ihren alltäglichen Kontexten tragen, ja es kann dann gerade einen besonderen Reiz darstellen, wenn diese Dinge und Effekte anderswo eine ganz andere Bedeutung tragen, seien es Fahrräder, Aluminiumoberflächen, Nebelmaschinen oder Ölflecken.

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Michael Hauffen

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