kunstverein münchen26.4. - 1.9.2002
erschienen 2002 in KUNSTFORUM
Auch das Kunstsystem hat seine Rituale und sein Fortbestand scheint davon abzuhängen, dass sie gepflegt, aber auch regelmäßig aufgefrischt werden. Die Bezeichnung Neustart für die Wiedereröffnung des Münchner Kunstvereins, einer Institution, deren jüngere Geschichte dadurch geprägt ist, dass sie es nicht immer bei Fassadenkosmetik bewenden ließ, könnte man daran anschließend als einen doppeldeutigen Kommentar lesen. Im Computeralltag meint der Begriff ja nicht nur die Möglichkeit ein Betriebssystem wieder in Gang zu setzen, wenn es zwischenzeitlich abgeschaltet war, sondern auch die früher oder später unvermeidliche Notwendigkeit eine verfahrene Situation gewaltsam abzubrechen. Als eine solche sehen die Mitglieder des neuen Kunstverein-Teams (Maria Lind als Direktorin, Sören Grammel als Kurator und Katharina Schlieben als Volontärin) die Landschaft der heutigen Kunstinstitutionen. Und konsequenterweise starten sie mit radikalen Maßnahmen auf mehreren Ebenen. Einer der ehemaligen Ausstellungsräume wurde zum Teambüro umgenutzt, beschloss dafür aber eine Umbaumaßnahme im Eingangsbereich, deren Signalwirkung unübersehbar ist. Die Künstlerin Apolonija Sustersic (Ljubljana/Amsterdam) wurde eingeladen, für diesen Raum eine Ausgestaltung zu entwickeln, die zum Aufenthalt einlädt und genug Variabilität aufweist um für soziale Kontakte, als Biblio- und Videothek, sowie für kleinere Veranstaltungen geeignet zu sein. Die Umbauphase wurde genutzt, um ein langfristiges Programm ausgearbeitet, das über die Eröffnungsausstellungen konzeptuell und organisatorisch weit hinausreicht. Einmal wurden zehn Personen (KuratorInnen und KünstlerInnen) ausgewählt, die während der nächsten drei Jahre das Programm als so genannte Sputniks begleiten, kommentieren und mitgestalten sollen. Die internationale Gruppe wird sich zu diesem Zweck regelmäßig vor Ort treffen. Dann wurde unter dem Titel „Es ist schwer, das Reale zu berühren” eine fortlaufende Reihe von Videokunstpräsentationen initiiert, deren erste acht TeilnehmerInnen bereits feststehen. Außerdem wird es parallel zu den verschiedenen Ausstellungsprojekten retrospektive Präsentationen geben, die sich über den Zeitraum eines ganzen Jahres mit wechselnden Arbeiten einer KünstlerIn hinziehen; als Erste soll in diesem Rahmen Christine Borland (Glasgow) dem Münchner Publikum nahegebracht werden. Und nicht zuletzt sind eine Reihe von diskursiven Veranstaltungen zu den verschiedenen angeschnittenen Themenbereichen geplant, die in einer viermal im Jahr erscheinenden Zeitung kommentiert und festgehalten werden. Mit diesem Wechsel von einem klassisch sequentiellen zu einem Modell sich überlagernder Ebenen des Ausstellungsbetriebs ist die Absicht verbunden, nicht nur die eingespielten Konventionen des Ausstellungsbesuches, sondern auch jene Wahrnehmungsschemata und habituellen Muster zu durchkreuzen, die zusammen mit den institutionellen Strukturen eine lähmende Einheit bilden können.Programmatisch auf den Punkt gebracht wird die angepeilte Stoßrichtung in der Gruppenausstellung Exchange & transform (Arbeitstitel), die darauf abzielt, künstlerische Strategien an der beunruhigenden Entwicklung aktueller Globalisierungsprozesse zu messen. Neben der inhaltlichen Seite verlockender oder bedrohlicher Zukunftsszenarien, mit denen uns vor allem die Medien reichlich versorgen und die sich thematisch leicht aufdrängen, ist dabei auch an die veränderten operativen Optionen gedacht, also ebenso an den Gebrauch neuer Technologien wie an veränderte Formen der Kommunikation, die adaptiert, irritiert oder umgestaltet werden. Vor allem eine Lektion dürfte die Generation von KünstlerInnen gelernt haben, die sich gerade anschickt, einen Platz im Kunstsystem zu erobern: Aussichten auf lebenslang gesicherte Existenzen sind überall im Schwinden begriffen, und das lässt auch die Chancen künstlerischer Produkte nicht unberührt, deren langfristige Bedeutung immer unkalkulierbarer wird. Umso attraktiver werden Projekte, die ihren Wert bereits in der Gegenwart realisieren. Simon Starlings (Glasgow) Ersatzlösungen für den Erwerb begehrter, aber nicht bezahlbarer Objekte legen eine Deutung in diesem Sinn nahe. Mit Do-It-Yourself-Ausrüstung fertigt er die Kopie eines im Original für ihn unbezahlbaren Kultmöbels (einen Designerstuhl) an, was ihn zwar viel Arbeit kostet, aber als fertiges Produkt sofortige Befriedigung bietet. Und nebenbei hat er nicht nur handwerklich dazugelernt, sondern sich in Form einer fotografischen Dokumentation des Unternehmens sogar eine Chance auf zukünftigen Mehrwert erworben. Eine verwandte Selbstversorger-Mentalität scheint Elin Wikström (Gothenborg) zu leiten, die sich entschlossen hat, ein Jahr lang nur Kleidungstücke zu tragen, die sie selbst geschneidert hat. In einem früheren Projekt hatte sie noch eine Lücke im System der Textilbranche ausgenützt, wo sie die gekauften Kleider immer wieder umtauschte, nachdem sie sich in ihnen fotografiert hatte – jetzt setzt sie dagegen auf radikale Selbstverantwortung für ihre äußere Erscheinung und richtete sich im Kunstverein eine Art Nähatelier ein.Sonst sind die KünstlerInnen weniger auf sich selbst und ihre eigene Situation konzentriert. Allenfalls Carey Young (London), die Berufserfahrungen als Consultant für ihre Karriere im Kunstsystem zu nutzen versucht, setzt noch ähnlich an. In einem Video kann man zusehen, wie sie sich von einem professionellen Trainer darin unterweisen lässt, den Satz „I am a revolutionary!” überzeugend auszusprechen. Das Scheitern des Trainers könnte dabei allerdings ihr Gewinn sein. In ihrem parallelen Konzept zur Unterweisung des Kunstverein-Teams in der Win-Win-Strategie (ebenfalls durch einen professionellen Trainer) nimmt sie dann den Ansatz auf, der hier das Feld beherrscht, nämlich zwischen verschiedenen sozialen Bereichen, die normalerweise voneinander isoliert bleiben, Beziehungen anzubahnen.Liesbeth Bik & Jos van der Pol (Rotterdam) suchen demgegenüber nach Wegen, die Besonderheit künstlerischer Produktionsbedingungen zu verteidigen und auszuweiten, und ordnen diesem Zweck den Einsatz zeitgemäßer Methoden unter. Für die Ausstellung haben sie Teile der neuen Lounge teilweise nach oben in den ersten Stock „kopiert” und somit eine zusätzliche Umgebung für Diskussionen und Projektarbeiten geschaffen. Als Zitat und in der Gebrochenheit fragmentarischer Verweise breiten sich die Elemente quer durch die Räume aus. Die verwendeten Materialien und Möbelobjekte sollen später in einen Kunstverein in Budapest transferiert werden und dort wieder eine richtige Lounge ergeben. Damit schließt das Werk an ihre Langzeitprojekt Nomads & Residents an, eine Art Initiative, deren Anliegen es ist, die globale Vernetzung von KünstlerInnen in Form selbstorganisierter Strukuren zu unterstützen.In allen diesen Arbeiten bildet auch der Austausch mit der gesellschaftlichen Realität außerhalb des Kunstsystems einen Bezugspunkt. Mehr Gewicht bekommt dieser Faktor etwa beim Zusammenschluss von Philippe Parreno, Pierre Huyghe und Dominique Gonzalez-Foerster (Paris), sowie Liam Gillick (London), die die Folgen der Globalisierung anhand einer Manga-Figur reflektieren, für die sie die Rechte erworben haben, und die nun die Rolle übernehmen darf, ihr eigenes Schicksal als Marktprodukt zu vermitteln. Direkt politisch engagieren sich Oliver Ressler (Wien) in seiner Dokumentation des außer Kraft gesetzten Demonstrationsrechts am Beispiel Salzburg 2001, oder Ursula Biemann (Zürich), die in Form eines Videoessays die Grundzüge einer Geografie des globalen Marktes für sexuelle Bedürfnisse skizziert. Die Gruppe Schleuser.net (Farida Heuck, Manuela Unverdorben, Ralf Homann, München) mischt sich in die Ausländerpolitik ein, wenn sie mit ihren Informations- und Ausbildungsprojekten in der Grauzone von Grenzübertrittsversuchen tätig werden, wo sie sich als Non-Profit-Unternehmen nicht strafbar machen; und Pia Lanzinger (München) befasst sich mit den Nebenwirkungen forcierter Sicherheitspolitik, indem sie dazu verschiedenste Belege schon an sich absurder Situationen sammelt. Außerdem wird sie zusammen mit Gruppen von Interessierten „Sonderermittlungen” in der Münchner Innenstadt durchführen. Die Gruppe Oda (Özge Acikkol, Gunes Savas, Secil Yersel) bietet in Istanbul, in einem Stadtteil der vorwiegend von MigrantInnen aus den armen Regionen des Landes bewohnt wird, verschiedene Formen sozialer Entlastung an, wobei der Lebensstil künstlerischer Bohemiens zum Zuge kommt, und dokumentiert dies in Videos. Ähnliches betreibt Minerva Cuevas im Alleingang in Mexiko-City, wenn sie etwa in der dortigen U-Bahn kostenlos Aufputschmittel verteilt, was die Betroffenen davor bewahrt einzuschlafen, und dann mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeraubt zu werden. Calin Dan (Bukarest) spürt in Rumänien verschiedenen sozialen Phänomenen nach, deren gemeinsamer Nenner darin besteht, dass ein Engagement für Kunst die Leerstellen besetzt, die das totalitäre Regime zurückgelassen hat. In einem seiner Videos kann man beispielsweise eine Gruppe von Menschen beobachten, die in feierlichster Form das bizarre Werk eines unter ihnen lebenden Künstlers auf ein leeres Feld platzieren. Daneben wirkt die Fotoarbeit von Vera Lutter, die sich auf die architektonischen Schattenseiten globaler Entwicklungen konzentriert, schon einigermaßen spektakulär: Hinter den Fassaden der Warenwelt findet sie albtraumhaft desaströse Industrielandschaften und vergrößert sie zu monumentalen Formaten. Als Kontrast dazu mag schließlich Matts Leiderstams (Stockholm) Konzept dienen, der zwei Selbstporträts von Franz von Lenbach (ein Original und eine Kopie nach Andrea del Sarto) in der beschaulichen Atmosphäre der nahe gelegenen Schack-Galerie arrangiert hat. Leiderstam möchte damit auch die sexuelle Codierung des Genres thematisiert wissen, und hat einen jungen Münchner Künstler verpflichtet, regelmäßig der Bedeutung dieser Form von Konfrontation mit sich selbst nachzuspüren.
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