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Lutz Bacher - Do You Love Me?


Auf einer wackeligen und schiefen Tischkonstruktion mit dem Titel »Villa Savoy« liegt eine überlebensgroße Puppe, die einem Übungsobjekt für den Sexualkundeunterricht nachgebildet ist. Der männliche Dummy »Big Boy« wirkt wie die Verkörperung eines Erwachsenen, der eher ungewollt auf die schiefe Bahn der Regression geraten, und dabei fatalerweise wieder zurück ins Säuglingsalter gelangt ist. Jetzt liegt er da auf dem einstmals kühnen Stelzenbau von Le Corbusier wie auf einem Operationstisch und verlangt nach Therapie. Seine Nacktheit, kombiniert mit seinem starren Geschichtsausdruck und der schlaffen Position seiner Glieder legt den Gedanken nahe, dass er einem wilden Traum voller Omnipotenzphantasien ausgeliefert ist. Passend umgibt ihn eine große und laute dreiteilige Videoprojektion »Sea of Love«, die ebenfalls ein anhaltendes Delirium suggeriert.

Lutz Bachers ausgedehnte Installation, die unter dem Titel »Do You Love Me?« im Münchner Kunstverein realisiert wurde, belässt es bei Andeutungen, auch wenn sie reich an Querverweisen scheinen. Wie in einem riesigen Environment bevölkern eine Vielzahl heterogener Figuren und Bilder die Räume. Man fühlt sich wie in einer riesigen begehbaren Puppenstube, da es sich oft um solche Super-Size-Figuren handelt. Neben dem schon erwähnten »Big Boy« etwa ein großer schwarzer Schimpanse aus Stoff und Leder »Ape« oder eine überdimensionierte Jeans »DENIM«, aufrecht stehend dank einer Füllung mit Styroporkugeln, die den latenten Größenwahn verführungswilliger Konsumenten klarstellt.

Übrigens handelt es sich bei allen ausgestellten Objekten um Fundstücke – mehr oder weniger ausgefallene Teile der amerikanischen Alltagskultur, die die Künstlerin im Lauf der Zeit gesammelt hat. Dennoch wirkt das Ganze auch improvisiert. Der Charme eines trashigen Disco-Ambientes kam vor allem am Eröffnungsabend zum Tragen, wo die laute Begleitmusik im Halbdunkel der Videoprojektion eher Unterhaltungswert als kritische Lektüremöglichkeiten versprach. Die Sensibilitäten langer durchfeierter Nächte mit ihren schnelleren Assoziationen und extremeren Einsichten bräuchte man vielleicht auch, um die eingespielten Rezeptionsmuster »normaler« Museumsbesuche zu neutralisieren. Aber natürlich gehören derlei Fremdkörper im Museum heute ebenfalls zum Alltag. Selbst der Einstieg zur Ausstellung auf halber Treppe, die Wandinstallation »TANK« – ein Modell-Panzer, der in die Stirnwand tiefe Spuren eingräbt – versucht keinen puren Realitätsschock, sondern setzt auf frivole Konfrontation.

Im hinteren Raum erwartet die Besucher dann noch ein mit Sand gefüllter Boden. Was als taktiles Erlebnis das Gefühl von freundlicher Natur im Gegensatz zur unerbittlichen Härte urbaner Lebensbedingungen verspricht, und wegen dieses Effekts bereits von der Freizeitindustrie auch in den Städten weidlich genutzt wird, lässt dennoch einen historischen Subtext von sozialer Dissidenz einfließen. Der Strand – große Fotoleinwände mit Sonnenuntergängen am anderen Ende der Ausstellung haben schon daran erinnert – war ja für kurze Zeit der Ort der Aussteiger, der Hippie-Kultur, mit der die bürgerlichen Gesetze außer Kraft gesetzt werden sollten.

Hier wird der »Strand« von der Figur eines Drachenfliegers beherrscht – zwar nur in Form eines Fotos, dafür aber aufgehängt wie ein Flugobjekt, und zudem von einer LED-bestückten Lichtkanone kaum merklich zum Flimmern gebracht. Die verdrängte Phantasie der einstmaligen libertären Befreiung tritt dagegen jetzt nur noch als Symptom in Erscheinung, und zwar als grell rosafarbenes und polypenartiges Stofftier, das aus beliebig aneinander-»klett«-baren Würsten beziehungsweise Tentakeln besteht und aus einer unvermutet sich auftuenden Öffnung in der Wand hervorquillt. Die drei ehemaligen Reklame-Buchstaben Y,E und S quer durch den Raum verteilt, beseitigen letzte Zweifel hinsichtlich der Frage nach der Bewertung des ganzen Settings. An der Stirnwand hängen noch Werbefotografien aus der Serie »GAP«, mit der die bekannte Bekleidungsmarke die Farbe Rot und deren revolutionären Impetus als ihr ureigenstes Anliegen propagiert. Bekannte Hollywood-Stars stehen dafür Modell mit geschickt kombinierten roten Kleidungsstücken der Firma und führen auf prägnanteste Weise vor, wie der im Prozess der Globalisierung immer brutaler werdende Kapitalismus kritische Symbole und attraktive Lebensmodelle zusammenführt und zum begehrenswerten Konsumobjekt transformiert.

Wie aber kann man sicher sein, dass die hier vorgeführte, ironisch wirkende Dekonstruktion von derlei Zusammenhängen selbst nicht ebenfalls Teil des Problems ist, das darin gipfelt, wie auch das entschiedenste und radikalste Kritikbedürfnis irgendwo in einer Struktur differentieller Individualismen verortet und damit isoliert wird. Gerade die bildende Kunst als ausgezeichneter Symbolträger spielt ja bei dieser Form der Konvertierung von kritischer Subjektivität in ästhetisches Kapital eine führende Rolle.

Lutz Bacher scheint in vollem Bewusstsein dieser Widersprüche am Potential der ästhetischen Intervention festzuhalten, und unternimmt seit den siebziger Jahren den Versuch zwischen Los Angeles und New York der Kulturfalle mit subversiven Strategien zu entkommen: etwa mit der Weigerung der Preisgabe ihrer wahren Identität und dem strikten Verzicht nicht nur auf eine eigene Handschrift, sondern auch auf eine klar definierte Position: Eine Form des Widerstands und ein Versuch der paradoxen Logik gerecht zu werden, die darin besteht, das Kunstpublikum immer wieder mit Dokumenten der herrschenden visuellen Kultur zu konfrontieren, die deren Gewaltförmigkeit bezeugen, ohne aber auf seiten der Kunst und damit bei sich selbst einen diesbezüglich überlegenen Status vorauszusetzen.

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Michael Hauffen

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