Kunstpalais Erlangen31.3. – 17.6.2012
erschienen 2012 in springerin
Hoffnungen auf eine zunehmend humane Gesellschaft wurden in den letzten Dekaden klar enttäuscht. Angesichts des Anstiegs neuer Formen von Gewalt und deren stark medialer Vermittelheit, drängt sich daher die Frage nach den ästhetischen Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit einer destruktiven Logik auf, die vor demokratischen Kulturen keineswegs Halt macht. Die Avantgarde war beispielsweise immer schon besonders aufmerksam für die Verkennung beziehungsweise Verleugnung der gewaltsamen Grundlagen unserer Kultur. Angeblich wären es ja immer die Anderen, von denen die Gewalt ausgeht.So mussten Milica Tomic und Jenny Holzer erst gründlich recherchieren, um die Details zweier Fälle von zynischer Grausamkeit aufzuspüren, die im Namen von Demokratie und Freiheit von amerikanischen Soldaten und ihren Alliierten in Afganistan verübt wurden. Bei Holzer sind es nüchterne auf Leinwand übertragene Dokumente, die die brutale Ermordung zweier Gefangener in bürokratischer Verbrämung konstatieren, bei Tomic geht es um Berichte von mehreren Hundert Taliban, die in Container gesperrt, und dann beschossen wurden, mit der Begründung Luftlöcher in die Containerwände machen zu wollen. Tomic ließ den Beschuss mit Standard-Containern nachstellen, und klagt mit ihrer Dokumentation die Perfidie an, die einen integralen Bestandteil der westlichen Kulturen darzustellen scheint. Taryn Simon rekonstruiert den Fall einer vergewaltigten und ermordeten Frau, und setzt ihn in Form einer inszenierten Fotografie um, was den Gewaltakt und sein Opfer in die Tradition des Tafelbildes einrückt und ihm den Charakter eines Martyriums verleiht. Und dann gibt es auch den alltäglichen Mord und seine Darstellung im Krimi. Michal Kosakowski nutzt das bekannte Genre um ganz normale Zeitgenossen mit ihren eigenen Mordphantasien zu konfrontieren. Und Yves Netzhammers Videoinstallation geht einen Schritt weiter, wenn animierte Gliederpuppen die schlimmsten Gewaltphantasien durchspielen, ohne davon irgendeinen Makel davonzutragen: wie könnte man besser demonstrieren, dass es das Selbstverständnis der Betrachter ist, das davon angegriffen wird, und dessen Begehren nach einer Scheinwelt der Andere im Weg steht?Wo verläuft also die Grenze zwischen gut und böse, wenn das Problem in uns selbst liegt? Die Videoarbeit von Anri Sala legt nahe, dass auch ganz harmlose Leute in einem Zusammenhang tödlicher Gewalt stehen, wenn nicht nur das unheilbare Trauma eines ehemaligen Soldaten geschildert wird, der auf die Morde, die er verüben musste, nicht vorbereitet war, sondern auch ein sensibler Amateur-Fischzüchter, der seinen Mitmenschen aus dem Weg geht, weil er sich und seine Fische nicht der Gewalt aussetzen möchte, die schon durch bloße Blicke ausgeübt wird.Parastou Forouhar und Bjørn Melhus bringen dagegen den unheimlichen Charakter einer dekorativen Kunst zur Geltung, die eine stimmige Ordnung suggeriert, und etwa für die Verbindung zwischen regelmäßiger Ornamentik und disziplinierender Gewalt blind bleibt. Bei Forouhar ist es eine Tapete mit Schmetterlingen, die sich erst bei näherem Hinsehen als Collage von Gewaltszenen erweisen, bei Melhus sind es Ausschnitte aus Kriegsfilmen, deren Bilder durch reizvolle Disko-Lichteffekte im Rhythmus von Musik und pathetischen Dialogen ersetzt wurden.Das mediale Angebot zufälliger Bekanntschaften nutzen Eva und Franco Mattes für ein Experiment, indem sie ein fingiertes Suiciddokument in ihrem Freundeskreis verbreiten und die abwehrenden oder hilflosen Reaktionen aufzeichnen. Aber wie auch Simon Menner zeigt, sind die Informationsquellen in einer medialisierten Welt zu dürftig, um eine verlässliche Vertrauensbasis zu bilden; seiner Serie von anonymen Portraitfotos kann man jedenfalls nicht ansehen, welche der Abgebildeten Spione oder Massenmörder sind, man weiß nur, sie sind entweder das Eine oder das Andere. Wie kann Solidarität entstehen, worauf kann sie sich gründen, wenn selbst die intimsten Wünsche von zweifelhafter Ambivalenz und allgemeine Werte und Ideale korrumpiert sind? Diese Frage wird hier nicht ausdrücklich gestellt, aber ihre Dringlichkeit ist in allen Arbeiten ebenso spürbar wie der Versuch eine kommunikative Ebene zu erzeugen, die uns einer Antwort näher bringen kann.
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