silberkuppe, Berlin27. April bis 30. Juni 2012
erschienen 2012 in springerin
Eine Zeichnung zeigt einen nackten liegenden Körper mit weit geöffneten Schenkeln. Vor allem seine hypermuskulösen Gliedmaßen und der BH, der schon für sich allein genommen eine erotische Persiflage darstellt, widersprechen entschieden der reservierten Weiblichkeit, die den Kopf der Figur charakterisiert. Anstelle des Geschlechtsorgans findet sich ein halbgeöffneter Mund aus dem eine Sprechblase kommt: „If These Lips could only speak”. Bereits Anfang der 70er Jahre vertrat Margaret Harrison mit derartigen Demontagen geschlechtlicher Normen Positionen, die queer politics und Gender-Debatte nachhaltig bestimmen sollten. Für ihre Forderung nach einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität bediente sie sich dabei des Reservoirs, das sie in der Malerei der Popart vorfand, und sie war damit eine Art Pionier in der Darstellung einer kritischen und subversiven Sicht auf die Ordnung der Geschlechter.Aber sie ließ auch die Grenzen des Kunstfeldes weit hinter sich, als sie sich dem Kampf gegen Atomwaffen anschloss. Unter dem Titel „Fear Forget” dokumentiert sie mit kurzen Texten und Illustrationen die Geschichte der 1981 entstandenen Widerstandsbewegung gegen das Militärgebiet von Greenham. Vor allem Frauen ließen sich trotz dauernder Räumungen, Anklagen und Drohungen seitens der Regierung nicht davon abbringen, den Zaun, der dieses Gelände umgibt, dauerhaft zu belagern. Gelegentlich mancher Großveranstaltungen konnten Zehntausende zur Teilnahme am Protest motiviert werden, und bis ins Jahr 2000 wurde trotz dauernder polizeilicher Schikanen ein Zeltdorf in der Nähe des Zauns aufrechterhalten. Dank dieser Hartnäckigkeit von Aktivistinnen, gelang es, der Forderung nach Frieden immer wieder mediale Resonnanz zu verschaffen, was mit zu den schließlichen Abrüstungsvereinbarungen zwischen den USA und der UdSSR beitrug. Die Ausstellung räumt dieser Dokumentation einen hohen Stellenwert ein. Ein Teil des belagerten Zauns wird in voller Größe installiert, und daran befestigt sind Gegenstände aus dem Alltag der Frauen – Puppen, Kleidungsstücke, Kinderspielzeug und Ähnliches – genau wie damals am realen Zaun. Der Spannungsbogen von dieser Installation, die jede Beschaulichkeit zurückweist, zu den subtilen Zeichnungen macht erst deutlich, inwiefern feministische Kritik mehr ist als die Unzufriedenheit mit der Abwertung des „anderen” Geschlechts: Geht es doch um eine soziale und psychische Struktur, die insgesamt der Anpassung an Herrschaftsverhältnisse dient, und die Grundlagen einer solidarischen Gesellschaft freier Wesen im Innersten mit Gewalt infiziert. Spuren dieser Gewalt finden sich überall dort, wo die patriarchale Ordnung überschritten wird, oder nur überschritten zu werden droht. Die Arbeit „Anonymous” von 1991 spricht es im Klartext aus: prominente Frauen, die das herrschende System in Frage stellen, scheinen fast zwangsläufig einen gewaltsamen Tod zu finden. Portraits von Beispielen dieser Logik wie etwa von Rosa Luxemburg, Eleanor Marx, Marilyn Monroe oder Janis Joplin, werden auf einer weiteren Arbeit zu einem Banner vereint, das zusammen mit einer kämpferischen Parole und weiteren Bilddokumenten, Polaroids aus dem Berlin der 90er Jahre und den Anteilen weiblicher und männlicher Abgeordneter in den Parlamenten der BRD und Großbritanniens ein Mixed-Media-Tableau ergibt. Als ästhetische Form ist das aus der Nachkriegsmoderne überaus vertraut. Und auch wenn sie inhaltlich das Symptom eines sozialen Mißverhältnisses benennt, das sich inzwischen auf andere Gestalten verschoben hat, erscheint die Anklage an jene anonymen Strukturen weiterhin gültig, was auch verhindert, dass die damit verbundene Provokation ihre Wirkung verloren hätte. Zumindest lässt sie sich nicht als karnevaleske Geste oder als dandyhafter Zynismus konsumieren, oder was sonst noch Kompatibilität mit dem Kunstmarkt zu ermöglichen pflegt.So bleiben Margaret Harrisons Arbeiten widerständig auch wenn sie auf neuere Entwicklungen nicht mehr reagieren. Der in ihnen manifestierte Wunsch nach einer gesellschaftlichen Veränderung, die die Auswüchse der Technokratie ebenso wie die Konditionierung des Geschlechtslebens umgreift, hat jedenfalls von seiner Aktualität nichts eingebüßt.
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