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STATION
Arbeiten am Münchner Hauptbahnhof


Ist die Welt, in der wir leben, so etwas wie eine riesige Maschinerie, in der wir nur berechen- und kontrollierbare Teile darstellen? Zumindest wenn man die instrumentelle Rationalität funktionaler Metastrukturen ansieht, wie sie in der Verkehrsplanung offensichtlich ist, oder in der Werbewelt sogar bis in subtilste psychische Dimensionen reicht, scheint dieser Alptraum eine reale Gefahr zu reflektieren. Eine Antwort auf diese Herausforderung stellt von seiten der Kunst die gezielte Intervention dar. Justin Hoffmann hat bei der von ihm konzipierten Ausstellung „Station” die Situation des Münchner Hauptbahnhofs einer Reihe von Künstlern für Experimente dieser Art zugänglich gemacht. Angesichts der großen Zahl von Menschen, die den Ort täglich passieren, dürfte damit ein bedeutender Komplex struktureller Ordnung anvisiert sein.

Selbst in dem Teil der Ausstellung, der sich in der ehemaligen Bahnhofsgaststätte, der jetzigen Galerie der Künstler, in eher museal gestalteten Räumen also, befindet, werden Arbeiten gezeigt, die die komplexe Problematik heutiger beschleunigter Wirklichkeit nicht auszublenden suchen, sondern auch hier im Bewußtsein der Verbundenheit von allem mit allem die kontrollierten Trennungen zwischen den verschiedenen Bereichen modernen Lebens porös werden lassen. Pia Lanzinger geht dabei von den Parametern für den Bereich der Deutschen Bundesbahn genormter Hinweisschilder (Piktogramme) aus, und ordnet diesen offiziellen symbolischen Topoi dann – ohne sie vorschnell in männlicher Attitüde spontaneistischen Gesten zu unterwerfen – jeweils deren unscharf umrissene Gebiete tangierende Lebenswelten zu, so daß etwas vom Konzept einer Welt, die nicht auf strenger Funktionalisierung beruht, erahnbar wird.

Zentriert um einen einzelnen Bestandteil eines jeden Bahnhofs, die Gaststätte, können Jesko Fezer und John Axel Wieder in ähnlicher Logik eine irritierend lange Assoziationskette bilden, die im maßstabsgetreu nachgebauten (4-qm-)Zimmer des Geschäftsführers aller 4 Bahnhofsgaststätten mit Privatfotos und der Debatte um die Präsentation von Bildern (auf weißer oder farbiger Wand?) beginnt, sich in einer Ausstellung von Stühlen aus den Gaststätten fortsetzt, und schließlich – bahnhofsübergreifend – bis zu Zeichnungen der Künstler in den einzelnen Gaststätten, als Austausch zwischen Kunst und Wirklichkeit erheiternd offen materialisiert wurde.

Im Untergeschoß ließ Daniel Knorr mit einem Bild, das in ein hinter Panzerglas gesichertes Pfund Kokain gezeichnet war, die Verbindung von Spektakel und lauernder Gewalt gegenwärtig werden. Die Münchner Polizei nahm die Gelegenheit wahr, die teure Droge aus ihren Beständen im Tausch gegen eine medienwirksame Aufklärungsaktion für ein paar Tage zur Verfügung zu stellen. Das Bild der vom Künstlerfinger berührten Materie kam so im „Lokal”-fernsehen. Fragt sich, wer davon am meisten profitiert: die Polizei durch die Kunst, die Droge gegen den Verdacht tabu zu sein, die Kunst durch die Möglichkeit letzte Restbereiche auszureizen? Jedenfalls ein Punkt, an dem sich eine Serie von verzweigten Fragen ergibt.

Nicht weniger spannend wird es für die Arbeiten im Außenraum (von der Galerie aus gesehen). Alle dort agierenden KünstlerInnen nehmen diese Spannung auch als Möglichkeit zum Bruch mit rein formaler Kunst euphorisch wahr. Annette Wehrmann bietet in ihrer Wechselstube Deutschen-Seifen-Beton (DSB) im Tausch gegen DM an, wobei der Kurs zufällig erzeugten Schwankungen, also einer gewollten Unkontrollierbarkeit unterworfen wird, an der sich der Mitspieler selbst noch aktiv beteiligen und damit zur Verwirrung der durchschnittlichen Interaktionserwartungen seiner Mitwelt eigenmächtig beitragen kann. In ähnlicher Weise stellt der herrenlose Koffer von Robert Jelinek Unterbrechungen im normalen Ablauf des Verkehrsgeschehens für diejenigen dar, denen er als merkwürdiger Gegenstand – wenn ein Ding keinen Besitzer hat, ist es dann selbständig? – auffällt, und die bei näherem Hinhören feststellen, daß sich in ihm eine Stimme bemerkbar zu machen versucht.

Am tiefsten in die Vielschichtigkeit des von der dominanten Verkehrsfunktion verdrängten sozialen Lebens reichen die Schriftzüge von Aribert von Ostrowski. Sie zitieren jeweils ein Wort aus einem Text gegen die Verfolgungspraxis der deutschen Justiz in einem Fall, der gerade Rettungsmöglichkeiten für die drohende Verfestigung rechtsradikaler Positionen enthielte. Diese Worte, an unerwarteten Stellen in die Unübersichtlichkeit des Bahnhofs eingefügt, wecken Einblicke in die ungeheure Verflochtenheit subjektiver und objektiver Strukturen, während man diesen selbst gleichzeitig, aber eben nicht endgültig, unterliegt. Innerhalb der Räume eines Museums wäre Kunst in derart beunruhigender Intensität heute kaum mehr denkbar. Und man kann sogar vermuten: auch Personen, die dort vielleicht gar nicht hinkommen, kann sie hier überraschend treffen.

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Michael Hauffen

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