Text

Klaus Theweleith – Ghosts


Don’t sell out. $ is only paper and your picture ain’t on it, but a good song never dies." So lautet eine Maxime jenes Popsängers, der früher einmal als Prince bekannt war, und inzwischen mit einer Band namens New Power Generation die Gesetze des Marketing in den Wind zu schlagen scheint.
Theweleit ist immer noch Theweleit, aber wesentliche Motive seiner Schreib- und Denklinien sind damit konform. So läßt sich auch das Zitat mühelos mit den Reflexionen über Medien, Superstars und Gewaltphantasien verknüpfen, die man vom Theoretiker des Summer of Love gewohnt ist. Dessen Denken hat sich allerdings auch nie den Spielregeln wissenschaftlicher Institutionen unterworfen, sondern blieb den Kernmotiven jener spontan entstandenen Kultur der Abweichung treu, mit der es in Gang gekommen ist.
Der anhaltend radikal kritische Impuls hat dabei auf seinem Weg in die feineren Verästelungen psycho-sozialer Strukturen eine komplexe theoretische Perspektive freigesetzt, und zu vorläufig drei Bänden des Mammutwerkes "Buch der Könige" mit ihren circa 3000 Seiten geführt.
Was dabei an Fragen und Erkenntnissen aufgeworfen wurde, wurde in drei auf Vorträgen basierenden Texten auf verschiedene Zusammenhänge angewendet, die in den großen Studien eher periphere Rollen spielten.
Im ersten Vortrag, gehalten in Berlin, wird das "RAF-Gespenst" zum Gegenstand einer Analyse. Theweleit geht von seinen Ursprüngen aus, von dem Punkt, an dem er selbst sich noch als Teil der selben Bewegung gesehen hat. Zeichen einer Differenz zwischen seinen an Produktion und jenen an Macht orientierten Einstellungen gab es zwar schon früh, aber die Komplexität der Struktur des Aufbruchs auf verschiedensten Ebenen ließ eine deutliche Abgrenzung erst nach und nach zu. Irgendwo lebt immer noch das Bewußtsein, einer Generation anzugehören, die den entscheidenden Bruch mit einer perfekten Oberfläche und unterschwelligen Gewaltverhältnissen vollzogen hat; aber inzwischen gibt es auch die deutliche Abgrenzung von jener tendenziell selbstzerstörerischen Mischung aus Paranoia, Omnipotenzphantasie und bürokratisch-zwanghafter Selbstinstrumentalisierung, zu der sich so manche haben provozieren lassen.
Aber gerade Ressentiment ist Theweleits Sache nicht, und so muß er sich auch nicht – wie die hiesigen Massenmedien – auf die Beschwörung und Instrumentalisierung von negativer Faszination beschränken. Aus der souveränen Position des geschmeidigen Analytikers jener Strukturen, die sich zwischen sozialen Gewaltverhältnissen und psychischen Mechanismen bilden können, ist es ihm möglich die Hintergründe aufzuklären, die nicht nur auf individuelle, sondern auch auf soziale Entwicklungen verweisen. Hierin liegt auch der Grund dafür, daß Künstler wie Gerhard Richter oder Rainald Goetz von der Geschichte der RAF zu leidenschaftlichen Werken angeregt werden konnten, ohne jemals in die Logik realen Terrors eingetreten zu sein. Letztlich geht es dabei um Souveränität im symbolischen Raum, und die Frage, wie dabei die Tücken der Kommunikation, die vom Abbruch bedroht um Anerkennung und Verweigerung kreist, gemeistert werden.
Daß dabei die Erfahrung von Gewaltverhältnissen und das Scheitern ihrer Verarbeitung in Beziehungen eine zentrale Rolle spielt, leitet zu dem zweiten Aufsatz über, der sich um die Geschichte der sexuellen Befreiung in den 60er Jahren dreht. Was bei den davon verursachten Diskursen meistens fehlt, ist Wahrheit, und Theweleit sucht und verteidigt sie gegen all die Formen hysterischer oder restriktiver Normalität. Verbündete findet er wiederum in Künstlern wie Godard, der den kollektiven Aufbruch der frühen 60er Jahre mitgemacht hat, und seine Entwicklung mit wachem Blick auch dann noch weiterverfolgt, als er unter dem Gewicht restaurativer Tendenzen wieder zum ausweglosen Einzelschicksal geworden zu sein scheint.
Was ist eigentlich aus der Erfahrung bewegter Massen heute geworden, fragt Theweleit deshalb noch einmal im Anschluß an Cannettis "Masse und Macht", und rekapituliert seine Theorie von der Transformation der Berührung mit der Masse in eine Koppelung mit der Macht der Medien. Andy Warhol als König bzw. Superstar bezeichnet hier die Position des Künstlers, der ein Medium für die serielle Kopplung einer anonymen Masse zur Verfügung stellt, indem er es von allem unnötigen Ballast befreit.
Das, was andere Medien-Stars wie Gottfried Benn zwar phantasiert, aber nie auf der Ebene ihres eigenen Lebens realisiert haben, nämlich Gewaltverhältnisse aufzulösen, und was im Umgang mit Sexualpartnern oder Machthabern dann immer wieder seine Schatten wirft, würde sich demnach im heute um sich greifenden Phänomen des "Serien-Zen" auf eine neue technosoziale Ebene verschoben haben, die es erlaubt, der Fixierung auf Macht- und Überlebenstriebe zu entkommen. Theweleit macht diese Art Zen in einem Medium vor, das nur auf den ersten Blick antiquiert wirkt. Seine Texte haben zwar oft Überlänge, sind aber dafür seit den "Männerphantasien" exzessiv mit Bildern bestückt. Und vielleicht erlauben oft erst ausholende Ausführungen wie diese, die Bedeutungen anderer Medienphänomene zu begreifen. Der vorliegende Band mit Vorträgen kann dazu einen Einstieg bieten, oder noch einmal die Aktualität der größeren Arbeiten ins Bewußtsein rufen.

Klaus Theweleit, Ghosts. 3 leicht inkorrekte Vorträge. Zu RAF, Sexualität und Masse&Serie, Verlag Stroemfeld/Roter Stern, Frankfurt/M., 256 S., DM 38,-.

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Michael Hauffen

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